Donnerstag, 16. Februar 2023
Ein Frühling ohne Drachen ist wie ein Fisch ohne Fahrrad (Skye 1)
Skye saß fröstelnd im Garten und fragte sich, was sie eigentlich mit sich angefangen hatte, bevor Drax in ihr Leben geschlüpft war. Sie hatte mit Drax ihre Welt neu entdeckt und stellte jetzt fest, dass ihr das Lachen, Mosern und Ankuscheln des Drachens in ihrer Wohnung schrecklich fehlte. Nun war es fürs Erste egal, ob und wann sie frühstückte, ob sie einkaufte und was sie mit ihrem Tag anfing.

Im Winter war Gwen ein paar Mal zu Besuch gekommen und sie hatten beraten, ob es eigentlich fair war, dass Drax nun mit diesem Ekelpaket von Drachen, Draco, so viel Zeit in der Kommune verbringen musste, um drachenhaftes Verhalten, vor allem Feuerspucken zu lernen. „Nah, immerhin ist es für Draco die Höchststrafe, von seinen eitlen Verwandten getrennt zu sein und in der Kommune klarkommen zu müssen, wo ihm seine ganze Angeberei rein gar nichts nutzt“, schloss Gwen, bevor sie sich erneut auf Reisen begab.

Skye stromerte durch ihre Wohnung, las kurz ein Buch und legte es gleich wieder weg. Sie ging spazieren, was ihr ohne Drax sehr langweilig vorkam. Sie lungerte herum und die Stille rauschte in ihren Ohren. Sie versuchte, sich neue Hobbys zu erschließen, aber alles kam ihr vor wie Selbstbetrug, weil sie Motorradfahrten mit Drax und Ankuschelschläfchen nach einer ausgiebigen Nudelmahlzeit so sehr vermisste. Diese Unruhe wurde auch nicht besser dadurch, dass die Seuche offiziell für beendet erklärt wurde und alle nun nach drei Jahren Einschränkungen wieder überall hingehen konnten. Skye war wie viele total überfordert, weil nun wieder massenhaft Leute herumrempelten. Frische Lust und blauer Himmel war durch Flug- und Autoabgase ebenso vorbei wie die angenehme Verlangsamung der letzten Jahre. Alle mussten sich nun neu sortieren und die lautesten Menschen nahmen am schnellsten wieder Plätze in Beschlag – public party inklusive.

Skye war ratlos und verunsichert, sich nun doppelt nicht zurecht zu finden: Was mochte sie eigentlich, ohne sich jeden Tag nach Drax zu richten? Und was wollte sie eigentlich tun, nun wo fast alles wieder möglich war, von dem sie vieles von „vorher“ aber gar nicht mehr mochte? Sie fuhr in die Stadt, um ein neues Buch zu kaufen, stromerte dort aber völlig verloren durch die Läden, zuckte vor Enge und Rücksichtslosigkeiten zurück, konnte sich für nichts entscheiden und fuhr fluchtartig ohne Buch so schnell wie möglich wieder nach Hause. Sie ging spazieren, genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen, aber verzog sich sofort wieder, wenn sie in die Massen an Menschen und Hunden geriet. Sie genoss es, nicht kochen zu müssen, ging in ein Restaurant, setzte sich hin, stand direkt wieder auf und stromerte weiter. Sie probierte herum und meistens passte nichts so richtig. Sie war auf der Suche, ohne die Richtung zu kennen und erlebte nur wenige Momente, in denen sie bei sich war. So tigerte sie unruhig und zunehmend elend herum, innerlich nach Drax oder nach einem Leben suchend, in dem sie nicht jeden Tag mit Drax verbrachte.

Immerhin war Frühling, die Tage wurden länger und die ersten Pflanzen streckten ihre Köpfe raus. Das Vogelkonzert draußen wurde vielstimmiger, Gänse tauchten auf, Balzerei und Nestbau nahmen Fahrt auf. Skye genoss mit allen Sinnen die Rückkehr von Farben, Gerüchen und Trällern, aber in ihr drin herrschte Abwarten: Was würde dieses Jahr bringen? Was würde sie tun und mögen? Wie würde es mit Drax, Kerscha, Gwen und mit Skye auf sich selbst zurückgeworfen weitergehen?

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