Freitag, 12. August 2022
Skyes Rede (Gwen 41)
Skye hatte das Mikrofon endlich erreicht und nahm sich einen Augenblick Zeit, in die Runde zu schauen auf hunderte von Drachen aller Größen, die teils neugierig, teils missbilligend auf sie schauten. Sie sah aus dem Augenwinkel Kerscha beide Pfoten nach oben recken, musste aber ganz schnell woanders hinschauen, weil sie neben der Ermutigung viel zu sehr spürte, wieviel Sorgen sich Kerscha um sie und vor allem um Drax machte.

Sie ignorierte auch den sich windenden Wetzlaw, der zwar die Entscheidung zugunsten von menschlichen Paten mit beschlossen hatte, aber sich nun nicht recht traute, zu diesen Paten zu stehen. Skye holte tief Luft, streckte sich und richtete ihren Blick direkt auf den feixenden und drohenden Clan von Draco. "Es ist mir eine große Ehre", begann sie, "dass ich heute hier sprechen darf und dass es mir vergönnt ist, überhaupt erfahren zu dürfen, dass es Drachen gibt und dass sie die Erde trotz allem weiterhin bevölkern." Der Zwischenruf "Trotz euch Menschen", brachte sie kurz aus dem Konzept, weil sie an Umweltzerstörung, Waldrodung, Müllhalden und Massentourismus selbst in den entlegendsten Gebieten der Welt denken musste. Sie war aber fest entschlossen, nicht wie Wetzlaw herum zu eiern.

"Liebe Drachen, ich kenne eure Regeln und Bräuche nicht und ich bin völlig überrumpelt worden, als mir dieses kostbare Drachenei anvertraut wurde. Ich wusste nichts, was kleine Drachen brauchen und war zunächst gar nicht erfreut, mich unverhofft und ungefragt, um dieses Ei zu kümmern." Wieder kamen Unmutsrufe und Gemurre auf. "Aber, aber", betonte Skye, "es war für mich keine Frage, dass ich mich um dieses Ei und um diesen Drachen kümmern werde. Ich, das heißt auch ein Mensch, kann sich kümmern, und so habe ich dieses Leben so gut ich konnte beschützt. Und ich habe es keine Sekunde bereut, weil Drax das lustigste und tapferste Lebewesen ist, dem ich je begegnet bin. Drax hat von Anfang an jeden Tag dazu gelernt, war immer neugierig, hat sich allem wacker gestellt vom Marder bis zum rasenden ICE-Zug. Drax hat gelernt, auf meinem Motorrad mitzufahren, eine Erfahrung, die wohl nicht viele Drachen gemacht haben. Drax hat jeden Tag mehr von der Welt entdeckt und ich habe meine Welt ganz neu kennengelernt. Wer nie mit einem Drachen im See schwimmen war, hat auf den Fall was im Leben verpasst.

Drax Kindheit war vermutlich aus eurer Sicht etwas ungewöhnlich, aber Drax hat nun etwas von beidem: Er ist ein wilder, starker, neugieriger, kluger Drache, der aber eben auch einige der guten Seiten und einige Gefahren der menschlichen Welt kennt." Skye war so, als würde sie irgendwo im Hintergrund den fröhlichen Ruf "Spaghetti! Cracker!" hören, schmunzelte und sprach weiter: "Drax ist schlau, verwegen und es ist mein bester Freund." Wie erwartet, waren erneut Buhrufe aus dem Draco-Lager zu hören. Skye schaute nun eindrücklich in die Runde der Drachen. "Es spielt keine Rolle, ob diese Freundschaft manchen Ewiggestrigen nicht in den Kram passt. Es ist ein Wunder, dass manche Drachen und manche Menschen sich eben doch verstehen. Drax ist ein Anfang und vor allem ist es Drax: einzigartig, wunderbar und absolut würdig, in die Drachengemeinschaft aufgenommen zu werden. Seine Lebensfreude, Klugheit und Neugier ist ein Geschenk für mich und auch für die Drachen, die bereit sind, ihm zuzuhören und mit ihm zu fliegen."
Nun endlich brandete zustimmendes Gemurmel auf. Dracos Ecke versuchte sich noch mal in Spötteln und Murren, aber aus mehreren Ecken erklangen nun Applaus und laute Drax, Drax, Drax-Rufe, die alles nervige und negative übertönten. Skye atmete auf und wankte von der Bühne.

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