Sonntag, 3. Mai 2020
Mit Drache hamstern (Gwen 15)
„Wir gehen einkaufen“, verkündete Drax. „Ach ja?“, wunderte sich Skye, die nicht zugeben wollte, dass sie mal wieder beim Lesen eingenickt war. Schläfrig schaute sie Drax in die vollwachen Augen, rappelte sich auf und holte Papier, um Drax Wünsche zu notieren. Es würde ja ohnehin keine Ruhe geben, und ein kleiner Ausflug wäre trotz allem ganz gut. „Also?“ „Ja, also“, diktierte Drax eifrig, „wir brauchen: Kekse, Schmirgelpapier, 2 Farben Holzlack, Lakritz und eine große Tube Creme“. „Creme?“, wunderte sich Skye. Drax nickte nur bestimmt und verlor kein weiteres Wort darüber. Skye seufzte. Das bedeutete, mindestens 3 Läden betreten zu müssen, immer mit Maske und Handschuhen zwischen all den verwirrten, gestressten Leuten. Die meisten gaben sich Mühe, mit der Pandemie irgendwie sinnvoll umzugehen. Leicht fiel das wohl niemandem und die 1% dummen Idioten, die es immer noch nicht verstanden hatten oder verstehen wollten, machten Stress für alle anderen, wenn sie sich eben doch durchdrängelten, keinen Abstand hielten und rummaulten, statt einfach mal rücksichtsvoll und freundlich zu sein.

Nun ja, so fuhren sie also zum Einkaufen. Skye vollführte das inzwischen schon eingeübte Ballett: Erst Helm und Handschuhe verstauen, dann Beutel in die Tasche und Brille auf die Nase. Dann die Maske mit möglichst wenig Anfassen ins Gesicht, woraufhin bei jedem Ausatmen die Brille beschlug. Dann erst die Handschuhe an und feststellen, dass der Einkaufswagenchip sich mit Handschuhen nicht vom Schlüssel lösen ließ. Da sie kein zweites Paar Handschuhe dabeihatte, piddelte Skye mehrere Minuten am Einkaufswagenchip herum, klemmte sich albern den Finger und hatte den Chip schließlich endlich vom Schlüssel ab und im Einkaufswagen drin. Erleichtert seufzte sie, woraufhin die Brille wieder komplett beschlug. Im vagen Nebel der beschlagenen Brille fand sie das Ende der Eingangsschlange zum Baumarkt, schob sich 1,5 Meter für 1,5 Meter voran und war nun endlich im Baumarkt, um flugs mal Farbe und Pflanzen für die nächsten heimischen Aktivitäten zu kaufen. Mit dieser Beute kehrte sie zum Motorrad und zu Drax zurück, das den Einkauf kritisch beäugte: „Noch mehr Pflanzen? Aha und wir streichen schon wieder bloß Schwarzweiß.“ „Wir vor allem“, dachte sich Skye missmutig. Dieses Einkaufen war so halb im Nebel zwischen lauter überforderten Menschen echt kein Spaß. Wenn sie grad mal die Brille frei hatte, schaute sie Menschen zu, die Berge an Toilettenpapier, Mehl und Bier in ihren Einkaufswagen herumstemmten. Schon verrückt, wie Menschen sich gegenseitig mit Angst ansteckten – nicht der Virus, sondern die Vorstellung, was schief gehen könnte, und die Ungewissheit, wann es wieder irgendwie normaler würde, bewirkte kurioses Verhalten, dem sich auch Skye nicht ganz entziehen konnte. Sie erwischte sich auch selbst dabei, wie sie von allem zwei statt nur ein Paket kaufte und viel mehr als sonst überlegte, was sie sonst noch alles dringend haben müsste.

Zweite Runde also, Süßigkeiten kaufen ging recht problemlos, aber dann stellte sich für Skye die nächste Herausforderung, wie sie sich mit 1,5 Meter Abstand in die Schlange der Apotheke anstellen sollte, wenn die nur 4 Meter breit war, schon 3 Leute drin waren, und vor der Apotheke eine Menge Leute ihren Weg Richtung Baumarkt suchten. Auch hier verursachten vor allem die 1% den Stress, die hektisch drauf losschoben, Leute sogar anrempelten und auf den Scheißstress schimpfen, von dem sie selbst am meisten auslösten. Skye versuchte ruhig zu atmen – schon damit sie durch die Brille trotz Maske überhaupt was sah. Als sie endlich dran war, erhielt sie ihre fünf Tuben Creme, obwohl dies vermutlich keine „haushaltsübliche“ Menge war. Nachdem sie bereits zweimal den Pin ihrer Geldkarte falsch eingegeben hatte, kapierte sie endlich, dass die Kombination aus beschlagener Brille und dem Plexiglas, das dem Verkäufer als Spuckschutz diente, eine optische Verzerrung bewirkte, so dass sie die falsche Zahlenreihe angetippt hatte. So versuchte sie gebückt unter dem Plexiglas durch zu schauen und schaffte es beim dritten Mal endlich, die Creme zu bezahlen.

Sie kehrte wieder zu Drax zurück und musste erneut verschärft überlegen: erst Ware einladen, dann war der Helm im Weg, half nix, musste auf dem Motorrad liegen bleiben, hoffentlich ohne runter zu fallen oder geklaut zu werden. Dann den Einkaufswagen wegbringen und versuchen, sich nicht über die Leute zu ärgern, die ihre verschwitzten Handschuhe auf den Boden schmissen. Es schien für einige Leute nicht verstehbar zu sein, dass es nicht darum ging, sich (nur) selber zu schützen, sondern keine Keime zu verbreiten, die aus der Pandemie eine Katastrophe mit überfüllten Krankenhäusern und unnötigen Toten machen würden. Skye seufzte und musste prompt mitten im Weg stehen bleiben, weil die Brille voll beschlug, wenn sie zu deutlich ausatmete. Sie holte den Einkaufswagenchip wieder raus, wusste nicht wohin damit, ließ ihn einfach in die Jackentasche plumpsen und fuhr fort: zum Mülleimer gehen, Handschuhe von den nassen Fingern runter und in den Eimer werfen, Handdesinfektion öffnen (wohin zwischenzeitlich mit dem Deckel?), Hände desinfizieren, vorsichtig die Maske vom Gesicht ziehen (wohin mit der?) und endlich zurück zum Motorrad. Der Helm war zum Glück noch da und Drax auch. „Wozu brauchst du eigentlich so viel Creme?“, fragte Skye erschöpft. „Es juuuckt soo“, jammerte Drax. Skye schaute genauer hin und entdeckte zum ersten Mal einen leichten Flaum auf Drax´ bis dahin glatten Hautschuppen. „Kriegst du jetzt auch eine Flokati-Ausstattung?“, kicherte Skye. „Floookatiii?!“, knurrte Drax und entblößte recht lange, spitze Zähne. Skye riss die Augen auf und wunderte sich, wann Drax´ Zähnchen derart beeindruckend geworden waren. Drax amüsierte sich sichtlich, fletschte die Zähne noch ein bisschen mehr, hielt den Kopf direkt vor Skyes Gesicht und stellte fest: „Du cremst mich zu Hause richtig lange ein, nicht wahr?!“. „Klaro“, beteuerte Skye und ergriff erleichtert die Flucht vor gestressten Leuten, versifften Handschuhen und den Wirrungen der Pandemie-Regeln. Nach dem heimischen Ritual aus Händewaschen, Auspacken und Desinfizieren setzte sie ihre frisch geputzte Brille auf, um genauer nachzuschauen, was sich bei Drax gerade alles veränderte.

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Montag, 20. April 2020
Auszeit im Frühling (Gwen 14)
Erschüttert versuchten Skye und Drax, sich in der Pandemie zurecht zu finden. Meistens blieben sie im Garten oder gingen spazieren. „Zu zweit dürfen wir ja!“ freute ich Drax, das die Menschennachrichten aufmerksam verfolgte. Skye lachte, weil Drax genau wusste, dass niemand außer ihr es sehen konnte. Wir bilden schon eine sehr besondere Virengemeinschaft, dachte Skye. Ihr wurde mal wieder ganz warm ums Herz, wie sehr sie sich an die Anwesenheit des Drachens gewöhnt hatte und wie gern sie es mochte, gemeinsam den Frühling zu genießen.
Drax entdeckte jeden Tag etwas neues und trauerte jeder verblühenden Blume hinterher. „Diese Narzissen sehen ganz kläglich aus. Guckst Du? Die sterben jetzt? Kommen die nächstes Jahr wieder? Ooooh guck mal, hier stehen jetzt so Blühdinger mit einem Muster, dass wir kleine Schachbretter aussieht. Siehst du? Weiße und lilane hast Du. Und was wird das hier? Lillien, das klingt schön. Wann kommen die Kartoffeln raus?“. Drax war völlig aus dem Häuschen, staunte alles an und fauchte nach den Katzen, wenn die zu nah an die putzigen, winzigen Rotkehlchen kamen. Tauben fand Drax „voll doof und so schmuddelisch“.

Während Drax den Frühling in vollen Zügen genoss und weite Ausflüge in nun staubfreier Luft verbrachte, war es Skye oft ganz elend zumute. Sie konnte wegen der Pandemie-Schließungen nicht zum Sport und nicht zum Schwimmen, so dass sie immer steifer und müder wurde. Nachts konnte sie nicht schlafen, weil sie sich Sorgen um Menschen in Sammellagern an den Grenzen Europas, um ihre Schwester ohne Job und um kranke oder traurig isolierte Freund*innen machte. Wenn sie zuließ, sich ihrer inneren Unruhe zu stellen, gab sie zu, dass sie vor allem Angst vor dem danach hatte, vor der Rückkehr in die sogenannte Normalität. Eigentlich gefiel es ihr persönlich so viel besser als sonst: mit viel Zeit zu Hause mit Drax, weniger Trubel, viel draußen, keine meetings und Büroarbeit zu Hause, wenn sie gerade wach genug dafür war. Sie hatte rein gar keine Lust, wieder tagsüber im Büro eingesperrt zu sein und auch ansonsten von Termin zu Termin zu rennen. „Interessant“, dachte sie bei sich, „Ich mag meine Routinen noch weniger als ich dachte. Wie könnte ich daran bloß was ändern danach? Wann auch immer und wie auch immer das danach wohl sein wird…“

Von solchen düsteren Gedanken bekam Drax nicht viel mit. Es flog über grünendes und leuchtend gelbes Land, lag träge im Garten herum, widmete sich meditativ dem Zuschauen von Vögeln und fleißig wachsenden Pflanzen und spazierte mit Skye zum See, um die ersten Gänseküken zu bewundern. Skye staunte, dass Drax keineswegs versuchte, die Küken zu frühstücken. „Die sind soo niedlich und ganz flauschig“, freute sich Drax, während es ausgestreckt auf der Wiese lag und kicherte, wenn die Flauschbällchen auf den Schuppen herumpatschten. „Streu ein bisschen Gras auf mich drauf“, forderte Drax und kicherte noch mehr als ein paar Küken auf den Drachenbeinen herumkletterten. Die wachsamen Gänseeltern merkten natürlich, dass da etwas sehr Merkwürdiges im Gange war. Da sie Drax nicht sehen konnten, fauchten sie eifrig Skye an. „Na toll, immer krieg ich den Ärger“, dachte Skye, während sie ganz verzückt den flauschigen Gänschen zuschaute, die herumtorkelten und vor lauter Riesenfüßen und Miniflügeln beim Picken öfter mal umplumpsten wie Watte auf Füßen.

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Sonntag, 19. April 2020
Pandemie der Ungleichheit (Gwen 13)
„Es ist so ruhig“, nuschelte Drax, „und, weißt du, ich hab noch nie soo blauen Himmel gesehen.“ Drax und Skye lagen im Garten ausgestreckt, guckten den Rotkehlchen und Meisen zu und fanden ihr kleines Fleckchen Grün ganz paradiesisch. „Das liegt daran, dass fast keine Flugzeuge fliegen. Auch viele Fabriken sind zu und viele Leute müssen nicht zur Arbeit fahren, weil sie ihre Arbeit verloren haben oder zu Hause arbeiten können.“ „Ist eine Pandemie für Menschen so gefährlich?“ „Das weiß eben keiner so genau“, antwortete Skye, „Auf jeden Fall ist es noch ansteckender als die Grippe, die vorletzten Winter 20.000 Menschen allein in Deutschland getötet hat. Ein bisschen liegt die Aufregung wohl auch daran, dass es diesmal auch Europa getroffen hat. Europa hat die Ressourcen, sich gegen den Virus zu wehren. Die vielen Toten in Afrika oder Asien durch Ebola, Lassafieber, Cholera oder Malaria schaffen es hingegen gar nicht in den Medien.“ „Als würdet ihr denken, dass weiße Menschen oder Reiche wichtiger sind?“, grübelte Drax. Skye schnappte nach Luft und dachte, dass Europa zumindest weniger Interesse für Probleme aufbrachte, die außerhalb der eigenen Mauer auftraten. Tausenden von Menschen wurden im Mittelmeer dem Ertrinken überlassen oder in Staaten zurückgetrieben, wo sie Gewalt, Elend und Krankheit in überfüllten Lagern erwarteten. Es machte sie sehr nachdenklich, dass sie selbst ein so gutes Leben mit dem Drachen im Garten verbrachte. Ihr persönliches Problem bestand im Grunde daran, dass sie Angst vor den Folgekosten der Pandemiebekämpfung hatte und dass sie nicht ins Schwimmbad konnte. Sie war schon ganz steif und schlaflos durch die mangelnde Bewegung und die fehlende Leichtigkeit im Wasser. Geflüchtete hingeben hatten keinen Rückzugsort, kaum medizinische Versorgung und nicht mal Wasser zum Trinken. Skye beschloss, Ärzte ohne Grenzen das Geld zu geben, das sie ohne die Pandemie für Freizeitaktivitäten ausgegeben hätte, und ging auf einige der Distanzdemonstrationen, bei denen Menschen mit 2 Meter Abstand dazu aufriefen, auch Geflüchteten die Chance auf ein gutes Leben zu geben. „Menschenrechte gelten für alle“, skandierte Skye, während Drax über der Demo kreiste: „Leave no one behind!!“

„Die da in der den blauen Overalls sind aber viel zu nah dran“, flüsterte Drax. „Soll ich die mal wegpusten, die fassen den Mann am Boden ja sogar an. Das ist doch bei euch Menschen grad verboten, oder?“ Skye wisperte zurück: „Ja, das ist verboten. Und das sollten die nicht tun. Die gehören zum Staat und behaupten, die Demonstrierenden hätten die 2 Meter Abstand nicht eingehalten.“ „Aber das stimmt doch gar nicht. Ich seh das von hier oben ganz genau. Die einzigen, die zu nah dran sind, sind diese blauen Leute.“ Skye war wütend. Das hier war so unnötig. Alles war ruhig gewesen, während lange Transparente für Abstand gesorgt hatten und die Demonstrierenden Spruchbänder hochgehalten, Kreidebilder gemalt und Schuhe abgestellt hatten als Symbole für jene, die evakuiert werden müssten. Diese Inszenierung eines autoritären Staates war völlig überflüssig und sehr gefährlich, weil die Polizist*innen verschiedene Leute anfassten und das sorgfältig inszenierte Abstandsballet durcheinander brachten. Skye wünschte sich von Herzen, Drax würde da mal für Abstand sorgen. Dennoch sagt sie: „Neh, Drax, du darfst die nicht umpusten. Wenn du das machst, holen die noch mehr blaue Overalls und verhauen alle, die sie erwischen können.“ „Aber richtig ist das nicht“, maulte Drax und Skye konnte nur wütend nicken.

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Samstag, 18. April 2020
Drachenfrühling (Gwen 12)
Als Drax und Skye den „Virus aus der Hölle“ beide halbwegs überstanden hatten, konnten sie endlich wieder zusammen Tierfilme gucken, sich aneinander kuscheln und zusammen übernachten. „Vielleicht finde ich Aras doch ganz gut“, murmelte Drax. „Nicht so gut wie Otter“, feixte Skye. „Du bist voll gemein“, maulte Drax, nachdem beim Test „Welches Tier wärst du bei Woodwalker“ von Katja Brandis herausgekommen war, dass Skye in ihrer zweiten Gestalt eindeutig ein Otter wäre. Skye grinste höchst zufrieden, weil sie Otter, Eisbären, Walhaie und Rochen am allerliebsten mochte. Drax wäre auch gern in zweiter Gestalt ein Otter oder eine Tiefseekrake oder wenigstens ein Streifenhörnchen gewesen, aber nun ja, immerhin war Drax ja schon ein Drache, was es dann schließlich doch mit diesem komischen Menschentest versöhnte.
Nach zwei Wochen konnten die beiden endlich mal mehr als eine Stunde raus aus den Decken. Drax fing sofort an, im Garten herumzugraben und zu wirbeln. „Draaax, du bist noch nicht gesund. Mach langsam. Du bist noch in der Rekonvaleszenz“, dozierte Skye, die sich darauf freute, wie Drax wohl „Rekonvaleszenz“ aussprechen würde. Drax zappelte noch ein bisschen, setzte sich dann aber hin: „Uh, mir ist schwindlig. Wir sind wirklich noch beide krank und schlapp“, wisperte es und gucke Skye zweifelnd an: „Re konnn wa less zenz? Rekonvaleszenz – ja das brauchen wir.“ Skye war etwas beunruhigt von so viel Vernunft, aber auch ganz froh, dass Drax nicht herumsauste. Ihr war immer noch elend schlecht und sie war höchst beeindruckt, wie so ein Virus Mensch und Drache binnen weniger Stunden völlig umwerfen konnte.
Dennoch ging es aufwärts: Die Tage wurden heller. Schneeglöckchen, Krokusse und Haselnusshecken blühten. Überall waren keimende Blumen und Weidenkätzchen zu sehen, Gänse quakten am Himmel herum, Enten lieferten sich Verfolgungsjagden und Amseln klauten als Nistmaterial alles, was die Stürme der letzten Wochen nicht weggeweht hatten. „Bald können wir wieder zusammen schwimmen“, freute sich Drax, „und dann fahren wir zusammen ans Meer…“
Daraus wurden dann allerdings nichts. Während Drax und Skye sich langsam erholten, wurde viele Menschen krank. Ein unbekannter Virus hieß es, hoch ansteckend und sehr gefährlich. Der Frühling kümmerte sich nicht darum, sondern schenkte allen grüne Wiesen, ein Blütenmeer und die ersten Blätter an den Bäumen.

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Samstag, 7. März 2020
Drachenpest (Gwen 11)
Bevor aber noch irgendwas anderes passieren konnte, blieb es erst mal viel zu lange Winter. Drax moserte über zu viel Nässe, ständig Matsch an den Pfoten und viel zu viel Frieren. Wenn es wenigstens Schnee und Eis gäbe, aber nein, immer nur matschig, ungemütlich und dunkel.
Ohnehin frierend und unterbelichtet schleppte sich Skye eines Tages im Februar mit letzter Kraft nach Hause. Den ganzen Tag schon war ihr übel und ihr Bauch versuchte, allen Inhalt auf allen Wegen loszuwerden. Sie zwang sich, einen Schritt vor den anderen zu setzen, dann noch einen und noch einen – 8.000 Schritte bis nach Hause mit Übelkeit und Bauchschmerzen. Endlich zu Hause fiel Skye sofort aufs Sofa um und bekam hohes Fieber – drei Tage lang.

Zum Glück gab es Freund*innen, die Suppe, Salzstangen, Schmerzmittel und Desinfektion vor die Tür stellten, so dass sich Skye am zweiten Tag in kurzen Moment des Aufstehens zumindest versorgen konnte. „Drax?“, rief sie, „Draaaax?“. Inzwischen beunruhigt machte sie sich auf die Suche nach Drax und fand den kleinen Drachen schließlich in seinem Sofabett unter einem Berg von Decken. „Oh nein, Drax, hast du auch Bauchweh?“ „Mir ist sooooo schlecht“, wimmerte es aus den Decken. „Ich hab Bauchweh, Kopfweh, Schnupfen, Übelkeit, alles ist schrecklich“ nuschelte Drax, während nur ein kleines Stück vom Gesicht und ein Riesenberg Elend unter Decken zu sehen war.
Skye seufzte: „Du musst was essen. Ich bring dir Salzstangen.“ „Bäääääh, von Salzstangen wird mir noch schlechter.“, protestierte Drax, „Ich will gar nix, nur liegen.“. Skye schleppte Tee, Wasser, Schmerztabletten, den großen Eimer und Desinfektion heran. „Iiiiiih, ich kann mich nicht desinfizieren – das brennt so auf meiner Haut, die doch Fell bildet. Verstehst du denn nicht, menno. Auaah. Börks.“ Skye war selbst viel zu krank und gab die Diskussion schließlich auf. Hauptsache, Drax trank genug und blieb liegen.

Also torkelte Skye in den nächsten Tagen zwischen Teekochen, Fiebermessen, Salzstangen für sich selbst und Obst für Drax hin und her. Von Drax sah sie gelegentlich mal einen Fuß oder ein Stück der Nase aus dem Deckenberg herausgucken. „Kannst Du das Fenster aufmachen?“, hauchte es aus den Decken. „Drax, ich bin selber krank. Ich muss mich hinlegen“, nöhlte Skye, obwohl sie eigentlich Mitleid mit Drax hatte. Fieber, Übelkeit und Schnupfen als Drache stellte sie sich niederschmetternd vor, während sie selbst nach 20 Minuten Aktivität wie ein Haufen Elend wieder ins Bett fiel. „Duuu, Skye, kannst Du mal den Eisbären mitnehmen? Der will nicht gewaschen werden. Also muss ich ganz allein in der Quwaarantäne durchhalten“, fiepte Drax. Prompt kam Drax plüschiger Stoffeisbär aus dem Deckenberg geplumpst. Skye grinste über die bestechende Logik und sprühte den Eisbären großzügig mit Desinfektionsspray ein, während Drax stellvertretend für den Eisbären gegen die nicht artgerechte, fiese Behandlung protestierte. Skye grinste, vermied jedes Kopfschütteln und plumpste wieder in ihr Bett mit drei Tagen Fieber, fünf Tagen Quarantäne und über einer Woche Steine erweichender Übelkeit.

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Donnerstag, 23. Januar 2020
fliegen
Ich mag nicht mehr fliegen.
Natürlich würde ich schon gern mal wieder in den Süden. Ich sehne mich nach andalusischem Blau, nach cubanischer Eleganz, Tropenstrand, kühlen Drinks in warmen Gegenden. Ich möchte neues entdecken und alte Kulturen erleben von Persien über Vietnam nach Neuseeland…

Was ich hingegen nicht mehr mag, ist Teil dieser Flugindustrie sein:

Ich möchte nicht noch mehr dazu beitragen, dass wir in einer letzten Konsumparty Richtung Abgrund taumeln. Die Reduzierung des Klimakollapses brauchen wir schließlich sehr viel dringender als weitere Abgase für mein bisschen Urlaubssehnsucht.
Und ich mag auch gar nicht mehr in diesen Konservendosen von Flugzeugen sitzen: Die Plätze sind in den letzten Jahren immer kleiner, das Essen mieser, die Luft stinkiger und das Personal schlechter bezahlt geworden, weil wir für unrealistisch niedrige Preise mal eben um die Welt fliegen wollen.

Ich will nicht mehr passiv und hirnlos wie ein Gepäckstück eingekeilt werden zwischen zwei Rückenlehnen und zwischen ebenso leidenden, zu nah aneinander klebenden Menschen. Bei den letzten Flügen habe ich mich gefragt, warum ich mir und der Umwelt das eigentlich antue. Ich konnte es kaum aushalten, derart ungemütlich sitzen bleiben zu müssen und mich noch Tage später verrotzt, halb taub und verkeilt zu fühlen.



Letzte Woche habe ich nach möglichen Urlaubszielen und Flügen gesucht und merkte kurz vor der Buchung nur noch Verdruss: Ich will kein braves Konsumtier mehr sein. Da erscheint es mir gerade sehr viel attraktiver, in den freien Tagen vor allem frische Luft, Platz, gutes Essen und freundliche Menschen zu bekommen. All dies gibt es außerhalb von Flugzeugen ja…

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Mittwoch, 25. September 2019
„How dare you…?“
Ein Teil meiner Generation, die 1980er, hat ihren Job gemacht: Wir haben die völlige Auflösung des Ozonlochs gerade noch abgewendet und sauren Regen vermindert. Wir haben vermutlich Wettrüsten schwerer gemacht und weitere Kriege vermieden. Wir haben den Ausstieg aus dem Atomwahnsinn wahrscheinlicher gemacht und die gewissenlose Verklappung von Atommüll zumindest in Europa erschwert. Wir haben die Städte durch jahrzehntelange Hausbesetzung vor der weiteren Planierung und Kommerzialisierung zunächst bewahrt – dabei neue Formen des Zusammenlebens in WGs und manchmal auch Kommunen gefunden. Wir haben sexualisierte Gewalt und die Schlechterstellung von Frauen* skandalisiert. Wir haben in Westeuropa Homo-/Trans-/Inter-/Abinarität-Feindlichkeit weniger akzeptabel gemacht. Wir haben internationale Ausbeutung angeprangert und ein paar Essenzen fairen Handels dagegen gestellt. Wir haben (zeitweilig) ökologische Prinzipien beim Essen, Waschen, Kleiden, Putzen, usw. breitentauglich gemacht. Wir haben einiges erreicht, das hat geholfen und hilft auch gegen Depressionen im Angesicht bestehender Desaster. Die Erfolge zu sehen ist kein Grund stehen zu bleiben, sondern ein Ansporn, dass es sich lohnen kann, Sand im Getriebe zu sein und gegen Ausbeutung von Mensch und Natur zu stehen.

Komplett versagt haben wir bei Kohle, Öl, Autos, Wasserverschmutzung und Wasserdiebstahl durch Privatisierung, bei Plastikmüll, gegen die heutigen Kriege um Ressourcen, bei ökonomischer und ökologischer Ausbeutung, bei der Abwehr des Wiedererstarkens autoritärer Regime und weißer Suprematie sowie bei weiten Teilen der Landwirtschaft, bzw. des unökologischen Massenkonsums, insbesondere von billigem Fleisch. Shame on us, Greta Thunberg, ja.



Wie können wir Alten und Mittelalten es da wagen, auf diese Jugend zu hoffen, die sich mit all den Zerstörungen herumplagen muss und nie in den Genuss von sauberem und plastikfreiem Wasser, stabilem Wetter sowie sicherem Land kommen wird?

Ich bin froh über die symbolstarke Figur, für die Greta Thunberg spricht, obwohl ich nichts von Held*innenverehrung halte. Verehrung rächt sich immer früher oder später: Eine Bewegung ist immer nur so stark und so korrekturfähig wie die ganze Bewegung.
Ich bin dankbar für diese kreative, ungeduldige und lautstarke Jugend, die nicht mehr wie Schafe nur aufschaut und weitermacht wie zuvor. Ich wage diese Dankbarkeit und mache meinen Job für eine solidarische Welt weiter – so gut und leider auch so schlecht ich eben kann.

Ich weiß nicht, ob es noch Hoffnung jenseits von Klimawandel, Kriegen und Massenflucht gibt. Ich weiß aber, dass es nur Hoffnung gibt mit all den Menschen auf der Straße und mit sofortigem Handeln. This house is on fire – löschen wir jetzt mit allen Mitteln, auf der Straße, zu Hause, in Schulen und Unis, in Regierungen, Unternehmen und Medien. Wie könnten wir es wagen, mit Zerstören weiterzumachen und nichts gegen die bestehende Ausbeutung zu tun?

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Samstag, 29. Dezember 2018
Neues von Drax (Gwen 10)
Drax wuchs prächtig, während sich Drax und Skye weiter aneinander gewöhnten. Drax entdeckte jeden Tag etwas Neues. Seit es die Balkontür selbstständig öffnen konnte, war auch das öde Warten zu Ende, bis Skye von der Arbeit zurückkam. Kurz kam es zu einer Krise, als Drax nicht einsehen wollte, warum Skye keineswegs dankbar dafür war, dass Drax sich an der Essensbeschaffung beteiligen wollte: „Wie, Du isst keinen Marder?! Es gibt doch genug davon. Und guckst Du, wenn du hier und da und zack ziehst, ist es fast wie Kaninchen“, wunderte sich Drax. „Aha, Kaninchen isst du auch nicht? Kein Wunder, dass du so klein bleibst.“ „Kein totes Tier in der Küche“, bestand Skye. „Muss ich ja nicht verstehen, Winzling. Dann gibt es abends eben nur Beilagen. Leichte Kost ist eh besser vor dem Schlafengehen“. Skye konnte deutlich sehen, dass Drax immer noch beleidigt war, aber immerhin tauchten keine weiteren Beutetiere mehr in der Wohnung auf.

So spielten sich die beiden ein, fuhren Motorrad, bis Drax zu groß wurde und oberhalb mitflog. „Schneller, schneller, hihi, das macht Spaß“, hörte Skye Drax über sich singen. Abends schauten sie Tierfilme, bis Drax selig vor sich hin schnarchte. Skye war ganz zufrieden: Seit Drax sich tagsüber draußen austobte, bekam sie nachts deutlich mehr Schlaf und die Wohnung wurde nicht mehr von Drax überschüssiger Energie verwüstet. Drax liebte weiterhin Nudeln und fraß sich jedes Mal ein kugelrundes Bäuchlein an, das am nächsten Morgen wieder verschwunden war. „Drache müsste ich sein“, seufzte Skye, während sie zuschaute, wie Drax freudig schlemmte. „Nam, nam, so lecker – willst du das nicht mehr?!“ „Du isst wie ein Drache!“, lachte Skye. „Ist das gut?“, fragte Drax. „Klar ist das gut. Es schmeckt dir, Du wächst und ich hab Spaß“, grinste Skye.
Soweit ganz zufrieden entdeckte Skye die Region mit Drax nochmal ganz neu für sich: kühle Parks, die sie bisher ignoriert hatte, weite Felder und fischbesetze Seen. Der Sommer war prachtvoll, auch wenn Drax stöhnte, weil ihm viel zu heiß war. „Heissssss“, genauer gesagt. Drax lispelte missbilligend, bis Skye endlich auf die Idee kam, Kühlakkus aus dem Eisfach um den kleinen Drachen herum zu verteilen. „Das knackt wie Lagerfeuer. Nur in kalt. Eisfeuer, das mag ich“, gurrte es.

Zum Winter hin kehrte sich die Stimmung um: Während Drax noch ganz fidel herumsauste, klappert Skye auf dem Motorrad über die Landstraßen. „Es geht ja, aber meine armen Hände und eiskalte Knie, habe ich.“ „Ich wärme dich auf“, bot Drax an und legte sich quer über Skyes Knie. Skye legte ihre eisigen Hände auf Drax Rücken und wunderte sich: „Drax, kann es sein, dass du allmählich Fell bekommst?“ „Ach, das, ja, also, ich kann ja nicht mein Leben lang nackt wie Perlmutt herumlatschen. Und, also, deswegen wollte ich eh mit dir reden. Ich muss, noch bevor mein Fell fertig ist, nach Granada.“ „Granada? In Spanien?“, murmelte Skye schon halb eingeschlafen. „Ja, Granada – du weißt schon so eine Familientradition. Ich muss nach Granada und du musst mit, weil Gwen ja nicht da ist. Ist doch klar, oder?!“, antwortete Drax. „Schlaf jetzt, Drax, wir reden später darüber“, murmelte Skye und hörte Drax beim Schnarchen zu, während sie die ganze Nacht kein Auge zu bekam, sondern überlegte, wie sie denn wohl einen inzwischen 1,50 Meter großen schillernden Drachen mit Fellstoppeln durch halb Europa begleiten sollte.

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Samstag, 15. September 2018
Drax erster Sommer (Gwen 9)
Drax wuchs und der Sommer ging voran. Drax liebte den See, nachdem es nach langem Zögern festgestellt hatte, dass Wasser wirklich nicht biss. Skye musste alle ihre Überredungskünste aufbringen und mehrere Minuten ihre Hand ins Wasser halten. „Vielleicht mögen Wassermonster bloß kein Menschenfleisch?“, zögerte Drax, fletschte aber dann doch die Zähnchen und stellte eine Pfote ins Wasser. „Äääääh, das ist ja matschig, iiiih, das bleibt an mir dran, pssssscccchhh weg Du Ente“, krakelte Drax, bis es endlich im Wasser rumplantschte. „Ist es nicht zu kalt?“, fragte Skye besorgt. „Schon mal über die Bedeutung von „Winterdrachen“ nachgedacht?“, feixte Drax zurück, platschte rum, machte Fontänen mit seiner Schnauze, tauchte, sauste rum und lachte sehr schäbig über Skyes entsetztes Quieken, als es mit einem zappelnden Fisch wieder auftauchte. „Ischt doch blosch ein gansch kleiiiner“, grinste Drax und schlang den Fisch herunter. Skye versucht nicht allzu auffällig zu würgen. Sie stellte sich vor, wie morgen in der Lokalzeitung wieder Berichte auftauchen würden über seltsame Vorkommnisse am See. Letzten Sommer wurde ein Riesenbarsch verdächtigt, Entenküken unter Wasser zu ziehen. Was würde das Lokalblatt da wohl daraus machen, wenn Fische unvermittelt über Wasser zappelten und dann verschwanden? Skye wollte da lieber gar nicht drüber nachdenken. „Drax, wir müssen uns mal über deine Essmanieren unterhalten.“, sagte Skye, aber Drax grinste nur und gurgelte sich mit viel Seewasser noch mal ordentlich die Fischfransen aus den Zähnchen. Auch das dürfte für die Spaziergänger am See ziemlich wunderlich aussehen, aber niemand kommentierte die Szene. Wer hinsah, wunderte sich, konnte das Geplatsche nicht einordnen und ging schließlich achselzuckend weiter – wer weiß schon, welches ehemalige Haustier da mal wieder ausgesetzt worden war und sich bald ebenso wie die Schildkröten am See wohlfühlen würde?

Drax und Skye machten rasch Fortschritte bei der Entdeckung der Welt. Skye liebte Drax Aufregung bei allem Neuen und fragte in der Mitte des Sommers: „Drax, wollen wir heute mal was besonders Aufregendes machen?“ Drax riss sofort die Augen groß auf und versuchte, kein bisschen ängstlich zu gucken. „Ich habe halt keinen Helm für dich, aber würdest du vorne in meiner Jacke mitfahren?“, fragte Skye. „Du meinst, auf dem Moootorrraaaad“, fragte Drax und machte sich so groß wie möglich. „Ja, da kannst Du dich an mir festhalten und rumgucken. Aber du darf nicht versuchen, während der Fahrt abzuhauen.“ „Uih“, machte Drax. Skye grinste ein bisschen: „Wir können ja erst mal bis zur nächsten Ecke und zurück fahren. Mal sehen, wie du das findest.“ Skye ließ Drax in ihre Jacke krabbeln und hatte sogar eine Taucherbrille besorgt, die sich Drax auffallend widerstandslos aufdrängen ließ, während es versuchte, nicht eingeschüchtert zu gucken. „Also, festhalten, nicht zappeln und wenn was ist, einfach feste auf meine Schulter boxen.“ „Boxen kann ich“, feixte Drax und lächelte tapfer. Skye stieg mit Drax auf, ruckelte sich zurecht und ließ erst mal vorsichtig den Motor an. Da Drax nicht wie erwartend Skye kniff, fuhr sie los. Ganz vorsichtig bis zur Ecke, kurz haltend und vorsichtig wieder zurück. „Alles klar?“, fragte Skye. Drax nieste zur Antwort erst mal lautstark und nuschelte „Ich hab mir den Kopf an deinem Helmrand angehauen. Aber sonst macht das viel Spaß. Wann fahren wir wieder?!!“ Skye lächelte und beschloss für Drax bessere Schutzkleidung zu besorge. Beim Einschlafen kuschelte sich Drax später ganz eng an Skye und sagte „Das war schön, aber weißt Du, ich kann gar nicht an deine Schulter boxen – da komme ich bei dem Wind doch gar nicht dran.“ Skye lächelte: „Aber du mochtest das Fahren, oder?“ Drax grinste im Halbschlaf „Jaaa, ganz nah bei dir und so viel Wind um die Nase.“ In dieser Nacht hätte Skye schwören können, dass Drax im Schlaf grinste und leise „brrrrmmmmmmbrrrrmmmmh“ machte.

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Dienstag, 12. Juni 2018
Drax entdeckt etwas Neues (Gwen 8)
„Mir ist laaangweilig“, quengelte Drax und machte schmale Augen in Richtung Skye. Die seufzte: „Kannst du nicht draußen den Marder ein bisschen ärgern?“. „Och nöh, der regt sich gar nicht mehr so richtig auf. Letztens habe ich versucht, ihn zu beißen. Das fand der gar nicht lustig.“ „Und nun?“, fragt Skye. „Jaaa, und nun?! Genau das ist hier die Frage! Hast Du nichts anderes? Ich will was erleben!“ „Ach Drax, das verstehst du noch nicht. Wenn irgendwer mitkriegt, dass du hier bist, kriegen wir einen Riesenärger. Polizei, Touristen, Tierforscher, weiß der Teufel – alle wollen dich dann sehen und wir haben keine ruhige Minute mehr. Im schlimmsten Fall entführen sie dich und du kannst nicht mehr hier bei mir wohnen.“ „Wie? Sehen?“, schnaubte Drax, „Du glaubst, andere Leute können mich sehen? Das ist doch Quatsch – nur meine Zieheltern können mich sehen. Was glaubst du denn, wie wir Drachen seit Jahrhunderten unter euch Menschen überleben?“ „Moment mal“, staunte Skye, „Du meinst, nur ich kann dich sehen? Alle anderen sehen dich gar nicht? Und hören dich auch nicht? Die denken nur, da rennt so eine Verrückte rum, die Löcher in die Luft starrt und mit sich selber redet?“ „Hmmm“, brummte Drax, „ja, so ungefähr. Du siehst dabei ziemlich bekloppt aus, aber mich sieht niemand.“ „Nah danke. Aber warum hast du das nicht schon früher gesagt?“, schüttelte Skye den Kopf „Heißt das, wir können gefahrlos rausgehen, und uns die Welt angucken? Bist du sicher?“ und als Drax nickte, beschloss Skye „nah, dann mal los!“.
Drax tippelte aufgeregt mit den Füßen und hatte schon ein dutzend Mal mit der Nase an die Balkontür gedotzt, bis Skye endlich angezogen und mit Wasser, Kamera, EC-Karte und Pfefferspray (man kann ja nie wissen, wenn man einen Drachen dabeihat) ausgestattet war. „Drax“, rief Skye endlich, „hier geht’s lang.“ Drax riss die Augen auf: Eine weitere geheimnisvolle Tür öffnete sich mit noch viel mehr Welt dahinter! Drax sprang in Skye Arm und kuschelte sich vor ihrem Bauch zusammen. Skye schloss ihre Jacke und seufzte, während Drax hin und her rumpelte, bis es endlich alle Pfoten bequem sortiert hatte und den Kopf oben rausstreckte. Skye fragte sich, wie das wohl aussah mit so einer Riesenbeule vor Brust und Bauch, aber Drax erklärte ihr, dass es keineswegs unsichtbar war, sondern die Fähigkeit der Menschen nutzte, unvollständige oder unverständliche Bilder durch Assoziationen zu ergänzen, die den bisher gemachten Erfahrungen entsprachen. Das Gesehene wurde im Gehirn zu etwas Sinnvollem zusammengesetzt. Aus etwas völlig unglaubwürdigem, wie einem Drachen, der aus einer Regenjacke herausguckte und grinsend seine Eckzähnchen blitzen ließ, wurde so eine dickliche Frau mit einem schlampig sitzenden Anorak. Kein Kompliment für Skye, aber nun ja, eben auch kein Problem für Drax, erklärte Drax, während es sich nur wenig bemühte, nicht allzu frech zu grinsen.
Skye konnte nicht anders als ebenfalls zu grinsen, und so marschierten sie los. Als Skye bemerkte, dass niemand reagierte, war sie zum ersten Mal froh, dass dickliche Frauen über 50 von fast allen komplett ignoriert wurden. Sie lief mit Drax durch die Straßen und öffnete ihre Jacke ganz, sobald sie am Fluss angekommen waren. Drax bekam wieder große runde Augen, die immer aufstrahlten, sobald es etwas Neues zu entdecken gab: ein Fluss! Enten, die sich viel zu große Brotstücke reinstopften! Als plötzlich ein Zug angebraust kam, sauste Drax unter Skyes Jacke. Skye fand es ganz beruhigend, dass Drax wohl doch nicht komplett unvorsichtig war, sondern Schutz suchte, wenn es nötig war. Sie versuchte, nicht zu lachen als Drax nach einigen Sekunden mit einem Auge aus ihrer Jacke guckte: „Waaas ist daaas?“ „Das, mein lieber Drax, ist ein Zug und ist gar nicht schlimm. Siehst Du die Schienen? Da darfst Du niemals hinfliegen, weil der Zug Dich kriegt, wenn Du auf den Schienen bist. Aber der Zug kann nicht runter von seinem Schienen. Hier fängt er dich also nicht. Alles gut.“ „Hach, so, so, ein Zug also“, nickte Drax und wurde ein bisschen rot, „das konnte ich so schnell ja nicht gleich erkennen. Ich dachte nicht, dass ein Zug so laut und so groß sein kann.“ Skye schmunzelte nun doch ein bisschen: „Nun ja, dies war ein Regionalzug. Ziemlich kleines Ding eigentlich – warte bis du einen ICE siehst. Da kannst Du mal richtig gucken und Oh und Ah sagen.“ Drax kniff die Augen zusammen, nicht sicher, ob Skye ihn richtig ernst nahm, blieb aber lammfromm in Skyes Armen sitzen. Skye genoss den ruhigen Moment und war gespannt, was Drax anstellen würde, wenn sie gleich an den See kommen würden.

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Freitag, 9. März 2018
Drax erster Marder (Gwen 7)
Seither entwickelten Skye und Drax ein gemütliches Beisammensein. Drax wuchs, kuschelte und ließ sich zum zwanzigsten Mal die Geschichte erzählen, wie die große Winterdrachin eines Nachts zum Weintrinken vorbeikam, sich als Gwendolina Tyromania Gwandania Pyrodonia Reginalda Rügenburges vorstellte und schließlich das Ei mit dem kleinen Drachenwesen darin zurückließ. „Wie hat ihr Fell ausgesehen? Was ist ein Flokati? War sie wirklich so groß wie das ganze Riesensofa? Wie hat sie gerochen? Ihre Stimme? Und ihre Augen? Kuhbraun sagst Du? Also ganz tief braun, wie bei einem Drachen, der gerade eine große, warme Kuh verspeist hat?“ Drax Fragen nahmen kein Ende. Skye konnte Drax verstehen, wo Drax die Mutter ja nie kennengelernt hatte.

Im Laufe der Wochen merkte Skye, wie Drax immer unruhiger wurde, kleine Wölkchen ausstieß, während es sich bemühte, keine Blumentöpfe mehr umzuschmeißen und freundlich zu Skye zu sein. „Nun ja“, dachte Skye „es ist ein Drache. Es kann nicht angenehm sein, hier nur in der Wohnung zu hocken. Schlafen, Hafermilch und Kuscheln sind ja schön und gut, aber braucht so ein Drache nicht mehr?“ Skye fürchtete sich etwas davor, herauszufinden, was Drax wohl brauchen könnte. Was, wenn Drax etwas zustoßen würde? Oder wenn es verloren ginge? Wo bekommt man Drachenheilsalbe?

So waren beide ganz in Gedanken versunken, während sie sich unter Skyes großer Plüschdecke ankuschelten. Drax ließ sich leise knurrend am Bauch und vor allem den Ansatz der wachsenden Flügel kraulen, zappelt aber mal wieder unruhig hin und her. „Wie wäre es mit frischer Luft?“, fragte Skye schließlich. „Versprichst du ganz nah bei mir zu bleiben?“ Drax Augen leuchteten auf: „Was bedeutet das?“ „Naja, so nah bei mir zu bleiben, dass ich dich sehe und schnell bei dir sein kann?“ antwortete Skye besorgt. „Ich meine, frische Luft, was bedeutet das?“, fragte Drax aufgeregt.

Skye seufzte „Wir probieren das mal.“, nahm Drax in den Arm, stand auf und öffnete vorsichtig die Balkontüre. Drax bekam ganz große Augen und riss die Nüstern auf: „Das riecht hier ja ganz anders“, schnüffelte es. „Hm, Erde, Vögel, Benzin, Steine, und ein Hauch von Marder.“ Skye war mal wieder beeindruckt, dass Drax über alles Wissen zu verfügen schien, während es die Welt komplett neu entdeckte. „Du weißt, wie Vögel riechen?“ „Na klar“, wunderte sich Drax, „Wie soll ich denn sonst wissen, dass in dem Busch da unten mindestens 12 Vögel herumwuseln und auf dem Parkdeck dahinten in dem Protzauto ein Marder schläft?“ Drax schüttelte den Kopf darüber, wie unverständig Menschen so sind: „Müsst ihr wirklich alles komplett erst lernen und wisst gar nix? Das ist aber lästig!“. Skye lächelte, „Ja, stimmt. Das ist sehr lästig und Menschen werden sogar extra in Schulen geschickt, damit sie sich überhaupt zurechtfinden.“ „Seltsam, dass ihr überlebt. Darf ich ein bisschen rumfliegen?“, fragte Drax.

Skye blieb fast das Herz stehen, aber Drax wartete die Antwort nicht ab, sondern öffnete die Flügel und sauste über das Parkdeck und zwischen den Tannen hin und her. Dabei gab es vergnügte Jubellaute von sich „Ja! Hierum! Wie das riecht! Hallo Krähe – brauchst Dir gar nicht so den Kopf verdrehen!“. Drax drehte seine Runden, sauste hoch und runter, während Skye zuschaute und vor mütterlichem Stolz fast platzte. Wie schön Drax war und wie geschickt. Wie sie Drax so beim Herumsausen beobachtete, vergaß sie fast, sich Sorgen zu machen. Schließlich kehrte Drax mit leuchtenden Augen zu ihr zurück: „Morgen wieder, ja? Ich habe Hunger und Durst! Kann ich Spaghetti haben?“ Skye lächelte, kochte ihrem Drachen Spaghetti und spendierte zur Feier des Tages einen extra Klecks Butter. So lächelte sie einfach nur Drax an, während die Riesenportion Spaghetti in der Drachenschnauze verschwand, Drax rülpste und rundum zufrieden aussah.

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Sonntag, 18. Februar 2018
Frechdachs (Gwen 6)
Skye staunte, wie schnell sie sich an dieses kleine Drachenwesen gewöhnt hatte, das weiterhin prächtig wuchs und sich ungehemmt seinen Launen hingab. Skye liebte die Momente, wenn das Drachenwesen sich ankuschelte und Geschichten aus alten Zeiten erzählte, als es noch so viele Drachen gab, dass Drachen wie Gwen ihre Jungen selber aufziehen konnten. Manchmal war das Drachenwesen ganz zärtlich, schmiegte sich an Skye und gab kleine mautzende Laute des Wohlfühlens von sich. Skye durfte dann sogar, ganz selten, die warme raue Haut des Drachenkindes anfassen. Es schmiegte sich dann am liebsten an Skyes Haut, ließ sich streicheln und schlief mit tiefen, brummenden Geräuschen ein. An anderen Tagen jedoch war das Drachenwesen übellaunig und hektisch. Es trippelte in der Wohnung herum, maulte Skye an, stieß sogar Qualm aus und sauste von hier nach da und wieder zurück.

Als es dabei zum zwanzigsten Mal dicht an Skyes Kopf vorbei sauste, platzte ihr der Kragen: „Verdammt und zugenäht! Kannst du nicht mal ein paar Minuten Ruhe geben, Du Frechdachs?“, motzte Skye den kleinen Drachen an. Das Drachenwesen schoss prompt erneut an Skye Kopf vorbei und zog im Flug auch noch an ihren Haaren. Dann landete es oben auf dem Regal und schubste mit einem lautstarken „doofes Mensch, gnaaaarg“ die Pflanze samt Topf vom Regal. „Das hast du extra gemacht, Frechdachs“, schimpfte Skye, während sie Scherben und nasse Blumenerde vom Boden aufsammelte. „Du bist ganz unmöglich, wenn du so bist“ motzte sie und schämte sich gleich ein bisschen, weil sie klang wie ihre eigene Mutter. Woher sollte sie auch wissen, wie man einen Drachen erzog?! Manchmal war das wirklich kein Vergnügen.

Das kleine Drachenwesen verschwand für Stunden oben auf dem Regal und rührte sich nicht. Skye hatte ihre Wut beim Scherben einsammeln verbraucht und schämte sich nun. So blieb sie schließlich auf dem Sofa sitzen, hielt Hafermilch bereit und wartete, dass das kleine, freche Drachenwesen auftauchte. Sie sah dem rötlich-gelben Sonnenuntergang zu und blieb ganz still, als das Drachenwesen sich reckte und ganz langsam begann, das Regal herunter zu klettern. Vorsichtig tippelte es zum Sofa, hopse hinauf und tapste dann auf Skye zu, als wäre gar nichts geschehen. Skye grinste über seine Unschuldsmiene und das stolze mir-gehört-die-Welt-Gesicht. Das Drachenwesen erklettere Skyes Bein, rutschte Schrittchen für Schrittchen das Bein hoch, penibel darauf bedacht, ja keine Krallenabdrücke zu hinterlassen und nicht mit den Flügeln zu schlagen. Schließlich legte es sich auf Skyes Bauch. Skye dachte bereits „Verdammt, wie soll ich da noch böse sein?“, als das Drachenwesen alle vier Pfoten ausstrecke, den Kopf auf Skye Brustbein legte und Skye aus den riesigen, warmbraunen Augen ansah. „Ich möchte nicht Frechdachs heißen. Ich bin ein Drache, also nicht Dachs, sondern Drax, wenn es recht ist.“ „Ist recht“, sagte Skye und legte ihre Hand vorsichtig auf den warmen, entspannten Körper. Und so kam der kleine Drache zu seinem Namen: Drax, von dem noch viele hören werden.

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Samstag, 17. Februar 2018
Auftritt, Drache (Gwen 5)
„Gwen hatte es ja gesagt“, dachte Skye „Drachen sind nicht wie Babys“. Das kleine Drachenwesen quakte nicht, sondern sprach, hatte von Anfang an Zähne, war stubenrein und wusste sehr genau, was es gerade wollte. „Eigentlich ist es eher wie mit einem Pubertierenden“, schüttelte Skye innerlich den Kopf. Mal war das Drachenwesen stundenlang nicht zu sehen und fauchte, wenn Skye eine Decke hob, unter der es sich gerade zusammengerollt hatte. Oder es flog auf und verschanzte sich in der Regalecke hinter den Büchern. Dann wieder war es so anhänglich, dass es gar nicht mehr weg wollte von Skyes Schulter oder ihr sogar unter den Pullover kroch, wo es dann warm und gemütlich vor sich hin brabbelte.

Das Drachenwesen hatte auch einen ordentlichen Hang zur Dramatik. An einem seiner anhänglichen Tage weinte es, als Skye sich mit Mantel und Taschen behängte, um zur Arbeit zu gehen. Nichts half. Der Drache ließ sich weder mit Hafermilch noch mit Kuscheldecke und nicht mal mit laufendem Fernseher beruhigen. Da Skye in Eile war, ließ sie das Drachenwesen in die Tasche ihres besten grauen Wollmantels schlüpfen und nahm es kurzerhand mit.
Damit war das Drama aber keineswegs ausgestanden. Vor dem Sitzungssaal zog Skye ihren Mantel aus und das Drachenwesen gab einen markerschütternden, schrillen Schrei von sich: „Du willst mich doch wohl nicht hier draußen alleine lassen? Es ist kalt! Ich könnte entführt werden! Außerdem brauchst du mich da drinnen vor all diesen wichtigen Leuten, die über die Zukunft deiner Arbeit entscheiden werden!“. Skye bezweifelte das zwar stark, aber nun ja, sie konnte den schreienden, nun auch wieder weinenden Drachen ja wohl nicht draußen im Flur zurücklassen, oder?

Also holte Skye den Drachen, der eine Woche nach dem Schlüpfen gerade mal handtellergroß war, aus der Jackentasche und schob ihn vorsichtig in ihre hintere Hosentasche. „Gut festhalten und drinbleiben! Keinen Mucks!“, stellte Skye klar. Die Sitzung nahm ihren Verlauf – alle wichtigen Leute redeten ihre 10 Minuten und Skye versuchte so intelligent wie möglich zu gucken, während sie spürte, wie sich das Drachenwesen in ihrer Gesäßtasche bewegte. „Sie müssen Synergien bilden. Wir erwarten von Ihnen Innovationen, die dazu beitragen, dass unsere Institution als ganze zukunftsfähig ist.“, leierte es aus der vordersten Reihe vor sich hin. Skye guckte ernst und nickte mechanisch auf und ab, während sie versuchte, die Zischlaute zu ignorieren, die das Drachenwesen von sich gab, während es die kleinen Drachenzähnchen fletschte. Der neoliberale Leistungsquark gefiel dem Drachen offensichtlich überhaupt nicht. Der Drache zeigte zähnchenfletschend seine Meinung, dass die da vorne Quatsch erzählten und dabei ganz und gar nicht so nett zu Skye waren, wie sie es verdient hatte, nachdem sie für würdig befunden wurde, sich um eins der seltenen Winterdrachenjungen zu kümmern.

Skye nutzte einen Moment, in dem die große Chefin sich Kaffee einschenken ließ, um mit einer Hand vorsichtig nach ihrer Hosentasche zu greifen. Sie rutschte erschrocken auf ihrem Stuhl nach vorne als sie feststellte, dass der kleine Drache keineswegs in ihrer Hosentasche verborgen war. Natürlich hatte es kess den Kopf aus Skyes Gesäßtasche gereckt und fletschte weiterhin die Chefin mit ihren Zähnchen an. Skye lächelte: wer konnte schon von sich sagen, beim Kampf um Anerkennung und Ressourcen von einem Drachen unterstützt zu werden? Skye richtete sich gerade auf, strahlte die Chefin an und dachte, „Wenn die wüsste, mit wem sie sich hier anlegt!“.

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Dienstag, 30. Januar 2018
willkommen, Drachenwesen (Gwen 4)
Skye hatte mal wieder auf dem Sofa vor sich gepennt. Sie verzog schmerzhaft das Gesicht: Ihr Nacken war komplett steif, weil sie beim Fernsehen halb im Sitzen eingeschlafen war. Sie schaute schläfrig auf die Folge der Simpsons, die sie schon dreimal gesehen hatte und drehte vorsichtig den Kopf hin und her. Ihr Nacken knirschte laut, als sie sich schließlich auf den Weg ins Bad machte. Sie hatte überhaupt keine Lust noch rauszugehen, aber was half es denn? Sie versuchte, sich so was wie frischer zu machen. Einen Spritzer Wasser hier, eine Bürste da und vor allem Gel, damit ihr Augen nicht mehr ganz so verquollen aussahen. Als sie sich gerade aus ihrem Pullover schälte, hörte sie im Wohnzimmer ein vernehmliches Knacken. Skye wechselte noch Jogginghose gegen Straßenhose und Schlabberkleidung gegen frische, bis sie ahnte, was sie da eigentlich gehört hatte.
Noch immer steif und blinzelnd ging sie zum Karton hinüber und schaute hinein.
Das Ei hatte einen deutlichen Riss bekommen und eine krallenbewehrte Pfote streckte sich durch die Schale. Nun war auch ein leises, brummeliges Knurren zu hören, während die Pfote auf und ab ruckelte im Versuch, sich durch die Eierschale zu strampeln. Skye überlegte: „Müsste da nicht erst der Schnabel kommen, mit so einem Eizahn?“ Natürlich hatte sie keine Ahnung, wie das Schlüpfen bei Drachen vor sich ging. Sie zog sich die bereitgelegten Sanitäter-Handschuhe über und hielt das Ei für einen Moment, während sie versuchte, beruhigende Brummlaute zu produzieren. Das beindruckte das kleine Drachenwesen nur kurz, aber veranlasste es dann noch mehr zu strampeln. „Verflixt“, dachte Skye, „wenn die Pfote oben ist, steht es vermutlich Kopf. Kein Wunder, dass es sauer ist.“ Skye begann ganz vorsichtig an der Eierschale zu ziehen und schaffte es tatsächlich, ein paar winzige Stückchen um das Drachenbein herum abzuknicken. Das Strampeln wurde noch heftiger, eine zweite Pfote erschien, Schuppen vergrößerten das Loch im Ei. Der Drache schob sich hin und her, ruckelt herum und schaffte es schließlich, die Schale zum Brechen zu bringen. Sein Kopf war im Vergleich zum Körper riesig und plumpste ungebremst auf Skyes Badetücher. „Öchz“, streckte der kleine Drache seine Zunge raus und blieb erschöpft liegen. Skye konnte winzige Drachenzähnchen im Maul des hechelnden Wesens sehen und bewegte ihre Hand ganz vorsichtig zu den letzten Eierschalen. Während sie diese von den klebrigen Drachenschuppen abzupfte, brummte sie weiterhin möglichst beruhigend auf den Drachen ein: „Hhaaalllooo, kleiner Draaache! Naah, das wird schooon.“. Der Drache gab einen knarzenden Quietschton von sich: „Waaarg. Hunger!“
Skye war beeindruckt. Das kleine Wesen hatte bereits Zähnchen, sprach und schien auch sonst ganz wacker unterwegs zu sein. Skye rubbelte den Drachen vorsichtig trocken, während der ganz ungeduldig zappelte. Erst als es quer über Skyes Brust lag und den riesigen Kopf auf ihrer Schulter ablegte, wurde es ruhiger. Er schubberte an Skye Hals und machte „Gnaaark.“. Immerhin blieb der Drache an Skyes Hals, während sie Hafermilch erwärmte. Als Skye sich hinsetzte, drehte der Drache sich in einer einzigen fließenden Bewegung Hals über Kopf auf Skyes Bauch, rollte sich zusammen und streckte die Schnauze aus. Skye steckte den Schnuller mit der Hafermilch in die Drachenschnute und wurde prompt mit zufriedenen Schmatzlauten belohnt. Kaum war die Flasche leer, fielen dem kleinen Drachen die Augen zu. Sein Kopf plumpse auf Skyes Bauch und so saßen sie dann da: beide irgendwie ganz zufrieden, warmer Drache auf warmem Bauch. Der Drache öffnete noch mal kurz seine Augen, die genauso abgrundtief waren wie Gwens, rülpste lautstark, sagt nochmal „gnaark“ und schlief ein. „Willkommen“, dachte Skye, ließ die Flasche auf das Sofa fallen, genoss das warme Gefühl von Drachen auf ihrem Bauch und schlief ebenfalls ein.

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