Sonntag, 11. Dezember 2016
3 Thesen der Woche
1) Nach Elektrogeräten scheint nun auch in Schuhe ein automatisches Verfallsdatum eingebaut: egal ob wir viel oder wenig in ihnen gelaufen sind, blättert abrupt entweder das Oberleder ab oder der Sohlenkleber löst sich.

modern shoes

2) Da haben wir jahrelang gelernt, dass Kapitalismuskritik es sich nicht so einfach machen soll, das Problem nur einigen wenigen Funktionsmasken in die Schuhe zu schieben. Das Problem ist das komplexe System der Kapitalakkumulation und Verwertungslogik. Die sogenannten 1% zu hassen, wird als zu personalisierende und daher verharmlosende Vereinfachung demontiert. Und nun geht Trump hin und ernennt nur führende Raubritter, die es in komplexer Kapitalismuskritik gar nicht gibt, zu seinen Regierungsmitgliedern.

3) Nach dem jährlichen Ritual der Verkostung von frischen Reibekuchen und Poffertjes bin ich bereit für die Winterpause.

potato pancakes

Leider gibt es keine Wahl zwischen 1), 2) oder 3) - Erwachsensein ist ein ganz schön blöder Mist.

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Samstag, 13. August 2016
Strategie der Spannung?
In den 1980er Jahren waren es in Deutschland, Italien und Spanien vor allem rechtsgerichtete Attentäter/innen, die versuchten durch Anschläge und Drohungen ein Klima aus Angst und Misstrauen zu erzeugen. Ihre sogenannte „Strategie der Spannung“ sollte dazu beitragen, die Menschen derartig zu verunsichern, dass sie nach einer starken Führung rufen, die diese Rechten und die mit ihnen verbündeten Kräfte im Staat dann bilden wollten. Trotz vieler Toter bei Anschlägen z.B. beim Oktoberfest in München und auf den Bahnhof von Bologna 1980, und einer massiven rechten Vernetzung bis hinein in den Staat ist es seinerzeit nicht gelungen, Furcht und Terror bis zum Umsturz zu treiben.

Heute erleben wir eine ganze Serie von ganz unterschiedlichen Anschlägen aus neo-faschistischen und pseudo-religiösen Richtungen. Bei einigen der Anschläge drängt sich der Eindruck auf, dass z.B. die Amokschützen von Würzburg, München und Ansbach religiöse oder rassistische Begründungen eher fadenscheinig nutzen, um ihrer eigenen frustrierten Wut, ihrem Hass und ihrer Selbsttötung einen erhöhten Sinn zu geben.
Umso erschreckender finde ich, dass heute die Verbreitung von Angst und Terror erfolgreich zu sein scheint. Ich hätte nie erwartet, dass ein libertäres Land wie Frankreich derartig schnell bereit ist, Freiheitsrechte aufzugeben und einen Ausnahmezustand zu dulden, der genau das einschränkt, gegen das sich der Terror richtet: freie Nutzung des öffentlichen Raums, Reisefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Opposition und Kunst. Die vielen Anschläge sind grauenhaft – der Terror siegt jedoch nicht durch den jeweiligen Anschlag, sondern durch das, was wir daraus machen: Reagieren wir mit Hass, Abschottung, autoritärem Polizeistaat und Krieg? Oder haben wir die Stärke, uns den eigenen Lebensentwurf und eine halbwegs offene, halbwegs demokratische Gesellschaft nicht nehmen zu lassen?

„Sündenböcke“ zu suchen ist immer einfacher – damit kann man Präsidentschaftskandidat werden. Leider färbt diese rassistische Trennung von Menschen auf die gesamte Gesellschaft ab: wenn ein Mensch mit migrantischem Hintergrund durchdreht, kommen sofort das Einsatzkommando und Heerscharen von Medien. Macht ein Deutscher genau das gleiche, wird dies auf psychische Probleme und den Alkohol geschoben. Ich stand jedenfalls letztes Wochenende einem erkennbar deutschen Mann gegenüber, der vollkommen besoffen und mit von Drogen zerfressendem Gehirn eine Menschengruppe mit einer abgebrochenen Bierflasche angriff und uns anbrüllte, dass er uns alle umbringen werde. Alle haben schockiert, aber besonnen reagiert. Niemand hat durch (rassistische) Beschimpfungen eskaliert, sondern alle haben Abstand gehalten, aufeinander aufgepasst und den Täter so lange in Schach gehalten, bis er sich einigermaßen beruhigt hatte – wäre er „Migrant“ gewesen, wäre nur deshalb die ganze Geschichte wohl blutig ausgegangen. Der Angriff hätte als erneute Bestätigung der Angst gegolten, es seien vor allem „Migrant/innen“, die solche Angriffe starten. Dabei sind und waren auch früher schon solche Szenen leider Alltag – es sind nicht „die Migrant/innen“ – sondern Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen, die andere Menschen aus Frust, Hass und Machtwünschen angreifen.

Echte Lösungen zu suchen ist langwieriger als das rassistische Klischee der Angst vor dem „schwarzen Mann“ zu schüren. Zusammenleben verlangt viel Mut und Durchhaltevermögen. Können wir also etwas dagegen tun, dass so viele Menschen so explosiv dünnhäutig sind und von Angst oder Hass getrieben andere verletzten oder töten wollen? Können wir echte Chancengleichheit erreichen und so den Demagogen ihre Basis entziehen? Über den Punkt, wo es noch einfache Heilmittel gäbe, sind wir sicherlich längst hinweg. Aber es lohnt sich: einen Polizeistaat und Medien, die zu oft nur Klischees und sensationslüsterne Angst verbreiten, wünsche ich mir jedenfalls nicht.

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Mittwoch, 13. Juli 2016
Alter II: Der Himmel und die Hölle sind immer die Anderen
Was bedeutet es also, in einem bestimmten Alter zu sein?
Das Selbstempfinden meines Alters wird nicht zuletzt vom Blick der anderen auf mich beeinflusst: Auf einmal werde ich darauf angesprochen, ob ich Kinder habe. Auf einmal lösen Tätowierungen Befremden aus. Mein Körper wird ganz anders angeschaut: ziemlich abrupt mit 40 werden meine breiten Schultern und Oberarme nicht mehr als Kampfsportfitness sondern als Übergewicht kommentiert. Für die meisten Standardmänner scheine ich mit einem dreifachen Ü40 (Alter, Kleidergröße und Arbeitszeiten) komplett unsichtbar zu werden. Das ist zwar praktisch ganz angenehm, weil ich das ewige Angesext-Werden mit 19 total nervig fand, aber die Gründe sind schauerlich: eine Frau über X wird als sexuell unattraktiv und inaktiv behandelt. Nicht nur dass es Pöbeleien gibt, so mache/r kommt gar nicht mehr auf die Idee, ich könnte gerade flirten statt nur höflich und hilfsbereit zu sein. Das ist bei jeder komplett unterschiedlich, aber vom Gefühl, mit jedem Jahr unsichtbarer zu werden (sei es ab 40, 50, 60, 70) berichten viele Frauen.
Die „Anderen“ also – jenseits der massiven körperlichen Veränderungen in Gewicht, Form, Fitness, Kraft und Regenationsvermögen ist es die Verbindung zu anderen Menschen, die sich für mich im Älter-Werden am meisten verändert hat. Ich brauche heute länger, bis ich mich einem Menschen öffne. Dafür verschwinde ich aber auch nicht mehr so schnell, wenn es mal langweilig oder nervig wird. Das Beginnen von Freundschaften und Lieben ist sehr viel schwieriger und seltener geworden. Dafür haben die aber eine neue Tiefe bekommen. Ich nehme Zuneigung und Verbindung nicht mehr einfach wie sie vom Himmel fallen (was etwas Bezauberndes hatte), sondern lasse mich ganz bewusst, mit Herz und Kopf und längerfristig auf einige wenige Menschen ein. Ich bin nach wie vor Teil eines großen vielfältigen Netzwerks, wie früher. Anders als früher gibt es aber in diesem wuseligen Netzwerk Menschen, denen mein Herz gehört, an die ich jahrzehntelange Bindungen habe und mit denen ich durch das Leben gehe. Diese Freundschaften haben mehr Tiefe und eine längere Lebensdauer als die Paarbeziehungen – das gab es früher bei mir so nicht.
Irgendwie bin ich also doch älter oder anders geworden. Das hat mit Körper, Erfahrungen und Lebensumständen zu tun. Auch merke ich, dass es zunehmend schwierig wird, Erfahrungen mit Menschen zu teilen, die einer anderen Zeit oder anderen Generation angehören. Die Querverweise sind unterschiedlich: meine Jugend fand ohne Handy statt und dennoch haben wir viel erlebt. Ich war live dabei als „die Mauer fiel“ oder Demonstrationen noch mehrere 100.000 Teilnehmende hatten. Umgekehrt habe ich keine Ahnung wie Life-Rollenspiele funktionieren. Dabei ist auch dies nicht so stereotyp – meine Gewohnheiten und Kenntnisse haben sich ja auch mit der Zeit verändert, indem Internet, Photoshop, Handy und Social Media auch Teil meines Lebens geworden sind.
Ich finde, Alter sagt weniger aus als gemeinhin unterstellt wird und ist zudem individuell sehr verschieden. Dass ich dennoch viel darüber nachdenke, hängt mit mal kuriosen und mal gruseligen Körperprozessen zusammen (Alterssichtigkeit? Ich??). Vor allem aber denke ich darüber nach,
-> um mich im Angesicht der Anrufungen der Gesellschaft zu orientieren (nein ich habe kein Kind und nein ich bedauere nicht, dass daraus jetzt auch nichts mehr wird),
-> um den für mich befremdlichen Blick anderer zu verstehen (Punker die mich siezen, obwohl ich doch die gleiche wie vorher bin),
-> um mich mit anderen zu verständigen (kann ich einen Lover Ende 20 oder Mitte 70 interessieren, ohne dass ich mir wie Mr. Robinson vorkomme?) und
-> um mich selbst zu verstehen: Ich werde 50? Eltern und Großeltern werden 50! Aber ich? Ich finde es nicht schlimm, 50+ zu werden aber es erscheint mir irreal: Ich stolpere doch immer noch über meine eigenen Füße und überlege, was ich mache, wenn ich groß bin!!
Und so werde ich es wohl auch weiter halten: Wenn ich groß bin, lebe ich am Meer und ihr könnt mich alle besuchen, egal wie alt ihr seid. Hauptsache ihr habt Liebe, Lust, kluge Gedanken und einen passablen Wein im Gepäck.

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Montag, 11. Juli 2016
Alter I: Außen und Innen
Spielt Alter eine Rolle? Irgendwie nicht, weil an dem Spruch, man ist so alt (oder jung) wie man sich fühlt, etwas dran ist. Meistens fühle ich mich wie Ende 20, also wie eine Person, die bei weitem noch nicht erwachsen ist, aber schon einiges im Leben gesehen hat und auf eigenen Füßen steht. An manchen Tagen fühle ich mittelalt, also wie eine von denen, mit denen ich mit 16 auf gar keinen Fall etwas zu tun haben wollte: so müde, voller Resignation, eingerostet, lahm und uncool. Es gibt Tage, an denen fühle ich mich steinalt: mit müden Augen, leerem Hirn und argem Rücken über die Straße wankend auf der Suche nach einem Sitz und einem Tässchen Kaffee. Unrecht und Ohnmacht jedoch machen mich heute noch genauso wütend wie mit 15. Frisch verliebt hingegen bin ich gleichzeitig eine pubertäre Dramaqueen und ein uralter Bedenkenträger – bei den Diskussionen zwischen der Schmetterlingspanik in meinem Bauch und dem weise-mahnenden Aber in meinem Kopf reden in mir die Generationen penetrant aneinander vorbei.

Was bedeutet es dann also, in einem bestimmten Alter zu sein?

Die Lebensumstände und Lebensphasen ändern sich: als Schülerin, als Sommerjobberin, als Angestellte, als Mutter, als Single, als Rentnerin habe ich jeweils unterschiedliche Fragen, wie ich mein Leben gerade bewältige und weiterhin gestalten will. Vor allem die Zeitbudgets ändern sich: Als Studentin musste ich nach einer durchzechten Nacht irgendwie die Augen aufhalten – als Vollzeit-Angestellte ist an so etwas während der Woche gar nicht mehr zu denken. Auf einmal fühlt es sich „spät“ an, um 23 Uhr ins Bett zu gehen – nicht weil ich doppelt so alt bin wie früher, sondern weil ich jeden Werktag um 7 Uhr aufstehe und es nicht reicht, bloß intelligent zu gucken.

Dennoch hängt das Empfinden meines Alters nicht nur von äußeren Umständen ab:
Mein Körper verändert sich durch Lebensumstände (ich sage nur: Bürositzen, Junk Food und Coach Potato im Gegensatz zu einem Sommer am Meer oder Kampfsporterfolgen). Hinzu kommen die inneren Einflüsse: zu Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt hoffen (oder fürchten) wir in der Pubertät alle, mal in ruhigere Gewässer zu kommen, wo der Körper sich nicht mehr jeden Tag und die Laune nicht mehr jede Minute ändert. Auch nach der Adoleszenz gibt es so etwas wie Entwicklungsphasen: Bei vielen nimmt die Regenerationsfähigkeit ab Ende 20 ab. Wir bekommen ab 40 oder 50 die Rechnung für das, was wir als Teenager oder in den 20gern mit dem eigenen Körper angestellt haben. Mit 40 Plus dauert es merklich länger, sich von Anstrengungen, Verletzungen und Rauschzuständen zu erholen. Die Sicht auf die Welt, z.B. das Bedürfnis nach einem gewissen Maß an Sicherheit, verändert sich auch nicht nur durch die Erfahrungen, die wir machen, sondern durch innere Veränderungen von Hormonen, Knochen und Gesundheit. Das ist jedoch für jede und jeden sehr unterschiedlich – je nachdem was unsere Zellen und die Welt bereithalten.

Großen Einfluss hat offensichtlich auch die Einstellung – wenn ich auf jedes Wehwehchen mit Angst reagiere, werden die schneller mein Leben beherrschen als wenn ich mich auf meine Stärken konzentriere. Ignoriere ich die Warnsignale hingegen ganz, werde ich vermutlich auf Dauer und stärker krank. Ein Mensch, der den eigenen Wandel als Abenteuer versteht, wird die Wechseljahre ganz anders erleben als jemand, der vor allem seinem 17jährigen Ich hinterher trauert und alles seitdem als Abstieg erlebt.

Teil II folgt

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Samstag, 9. Juli 2016
muss wohl Liebe sein...
Familie – was ist das denn? Sind das die Menschen, die einen auf die Welt bringen? Für eine sorgen? Mit denen ich die ersten Jahre meines Lebens verbringe? Die mich schon erlebt haben, als ich mit Babyspeck, Zahnspange, Pubertätspickeln gekämpft habe? Sind das die, die die Wadenwickel gemacht haben? Beim ersten und beim letzten Schultag dabei waren? Sind das die Menschen, die Gene mit mir gemeinsam haben, die sich in Ähnlichkeiten, Erkrankungsrisiken und Neigungen zeigen können?
Nicht selten sind die Blutsverwandten auch die, die anschreien, prügeln, abwerten, nichts begreifen, nicht verstehen wollen oder können. Sind diese Menschen trotzdem meine Familie? Ich finde nein, weil zu Familie echtes Interesse aneinander gehören würden. Manche Menschen sind mein Ursprung, den ich nicht vergessen will – manche von diesen Ursprungsmenschen haben gutgetan oder waren eher das Problem, indem sie sich herzlos oder gewalttätig verhalten haben. Sie sind für immer das, wo ich herkomme, aber sie sind nicht das, was ich geworden bin und wo ich hingehe.
Wenn Familie die Menschen sind, mit denen ich mich am meisten verbunden fühle, mit denen ich Erfahrungen und Erlebnisse teile, dann spielen Kindheit und Gene eine Rolle, aber eben nicht die einzige. Bedeutung haben vielmehr die Momente von Verstehen und Nähe, das Gefühl sich bei manchen Menschen zu Hause zu fühlen.
Ich bin glücklich mit meinen wunderbaren Schwestern, die mich von Anfang an kennen und mich gerade deshalb lieben – sie kennen meinen weiten Weg zu mir selbst und ich kenne ihren. Sie sind meine Wurzeln, Quellen meiner Stärke, die Verbindung zu dem, wo ich herkomme. Alle anderen Liebsten habe ich mir selbst ausgesucht - weil ich musste, um Kleinlichkeit, Herzenskälte, Bosheit, Quälerei und Verrat zu entkommen. Diese Liebsten haben sich gefunden im Laufe von Jahren. – was macht Familie also aus? Von schwulen Freund* innen habe ich unter anderem gelernt, dass es möglich ist, sich eine eigene Familie aufzubauen statt ein Leben lang mit der „eigenen“ Familie zu hadern. Ich bin heute glücklich mit Menschen, die fast alle eben nicht „blutsverwandt“ mit mir sind.
Sind Bindungen ohne Familienbindung weniger stabil? Vielleicht – meine Schwestern werde ich jedenfalls nie ganz verlieren. Wie sind für immer verbunden - drei Felsen in der Brandung. Andere wichtige Freundschaften sind im Laufe der Jahre gewachsen und dann doch irgendwann verloren gegangen. Einige davon haben mich verändert und Eindrücke für immer hinterlassen. An andere, die mal ganz enorm wichtig waren, kann ich mich heute kaum noch erinnern. Innerhalb dieses sich ständig verändernden Netzwerks von Begegnungen und Freundschaften gibt es einige wenige Verbindungen, die sich von anderen Freundschaften unterscheiden: jene speziellen Menschen, die mehr mit mir teilen, wo es Verstehen gibt, wo Gespräche echter sind, mich besonders beeinflussen. Das sind jene Menschen, die immer in meinem Herz sind, auch wenn wir uns gerade nicht sehen. Jene Menschen, wo ich Wärme und Leichtigkeit fühle, wenn wir etwas zusammen machen. Menschen mit denen ich albern und entspannt bin und mit denen ich die Welt verändern kann. Da gibt es dieses spezielle Gefühl, wo es sich wie ein warmes Bad anfühlt, einfach mit diesen Menschen in einem Raum zu sein, wo Lächeln ganz tief aus dem Inneren kommt, wenn mir wieder bewusst wird, wie schön und lebendig es ist, ihn oder sie in meinem Leben zu haben.
Was macht diese Menschen so besonders? Sie sind Teil meiner Seele, wir passen aufeinander auf, haben gemeinsame Erlebnisse und tief empfundene Momente der Verbundenheit. Wir haben gelacht, zusammen Tragödien erlebt und Leid überstanden. Es gibt Zeiten, wo wir uns weniger sehen. Zeiten, wo es kompliziert ist und der Faden zwischen uns dünner wird. Missverständnisse und Verletzungen tun mit diesen Menschen viel mehr weh, zerreißen das Band jedoch eher nicht. Es macht mich verletzbar, diese Bindungen eingegangen zu sein. Es würde mir einen Teil aus der Seele reißen, diese Menschen zu verlieren. Diese Menschen sind so kostbar, wärmen mein Herz und sind die einzigen, deren Achtung oder Kritik mir wirklich etwas bedeutet. Ihre Zuneigung macht mich lebendig. Ich bin ein glücklicher Mensch, weil ich nicht nur eine schlecht behüte Kindheit überlebt, sondern eine eigene Familie gefunden habe. Mein Glück besteht daran, dass die Menschen, die ich gefunden habe, auch mich gefunden haben. Verbundenheit ist Lächeln, Teilen, Reibung, geteiltes Leben und Zu-Neigung in beide Richtungen - genau das ist für mich heute Familie.

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Freitag, 4. März 2016
Kleiner Zettel – großer Mut
Ich möchte echt nicht zurück in die Pubertät. Ok, vieles war aufregend: all dieses Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt. Drama! Melancholie! Alles Neu! Vieles zum ersten Mal.

Aber im Grunde war es ja ganz schön nervig, schon so viel zu können und so wenig zu dürfen. Überall Grenzen, Regeln und Bevormundung. Die seltsamen Dinge, die mit dem Körper passieren: komisch riechen, Pickel, auf einmal Riesenfüße und trotzdem kleine Brüste. Zum Glück muss man das nur einmal im Leben durchmachen. Schon wegen der Jungs, die umso lauter wurden, je mehr sie später entwickelt als die Mädchen waren und nicht wussten wohin mit all ihrer Kraft. Dazu schlabbrige Küsse, Peinlichkeiten (ok und auch Aufregung) beim Flaschendrehen. Der erste Vollrausch, durchgetanzte Nächte und endlose Langeweile in der Schule. Dreizehn sein möchte ich nicht nochmal machen müssen.

Ich weiß nicht, ob ich mich je wirklich erwachsen fühlen werde, aber irgendwie bin ich heute doch groß: ich sorg für mich selbst, treffe meine eigenen Entscheidungen. Ich kann meine Kleidung dreckig machen so viel ich will, weil ich sie ja selbst saubermache. Ich kann den Kühlschrank so oft aufreißen, wie ich will. Selbst entscheiden, was ich einkaufe, wie ich wohne, wie viel ich schlafe, was ich anziehe, wer meine Freund/innen sind und wann ich abends nach Hause komme.

Eins scheint sich jedoch nach der Pubertät eben nicht zu ändern: die Verunsicherung und Aufregung des Verliebt-Seins. Dieses Gefühl, wie die Zuneigung sich in mir ausbreitet, mein Herz sich öffnet, die ganze Welt nach Leben schmeckt, riecht und tanzt. Und leider auch die nagende Frage, ob er das wohl auch fühlen könnte. Kann das passen? Will ich das? Kann ich das? Will er das? Kann er das? Herjemineh….

Wie einfach waren da diese Zettel, die wir mit Dreizehn über die Schulbank geschoben haben: „Willst Du mit mir gehen?“
Es erforderte Mut, diesen Zettel zu schreiben und dem bewunderten, ach so schönen, faszinierenden Auserwählten zu geben. Der oder die konnte den Zettel ignorieren oder ganz einfach Ja, Nein oder Vielleicht ankreuzen. Binnen fünf Minuten war alles geklärt. Wir haben nicht wochenlang an Zweifeln genagt. Wir haben keine verschrobelten Verhandlungen geführt, welche Art von Beziehung, Affäre, Liebschaft oder Lebensabschnittsgefährtentum wir anstreben. Wir haben nicht vorher diskutiert, was daraus werden soll, oder was die Freund/innen dazu sagen. Wir hatten keine Vor-Geschichten und erst wenige Narben im Herzen. Eine Person hat den ersten Schritt gewagt und es gab das Ja, Nein oder Vielleicht. Und dann konnte es losgehen. Wir konnten und brauchten nicht vorher zu wissen, wohin das führt und ob es fünf Minuten, fünf Tage oder fünf Jahre halten würde. Wir sagten Ja, Nein oder Vielleicht. Und wir erlebten dann halt, was daraus werden konnte.

Ich beneide mein pubertäres Ich um diese Unbefangenheit und Schlichtheit: frag einfach, wenn Du glaubst, er könnte für hier und jetzt der Richtige sein. Und wenn Du gefragt wirst, geh los.
Heute mache ich mir endlose Gedanken über all die Gründe, die dagegen sprechen, all das was ich falsch machen könnte, was er falsch machen könnte, was nicht geht, nicht passt, nicht so wichtig ist, schief gehen könnte. Alles so erwachsene Abwägungen, die verhindern, einfach mal zu fragen: Willst du mit mir gehen?

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Samstag, 6. Februar 2016
Ich kümmere mich ja schon
Ich kümmere mich ja immer um alle und jenes, repariere, sortiere, finde, mache heile, vernetze, sorge, rette und habe vor allem den Plan, wie was wann laufen muss, um gut zu werden.
Das ist ganz angenehm: für mich, weil ich schneller fertig werde, Ziele erreiche und Erfolgserlebnisse kriege. Für die anderen, weil sie sich immer auf mich verlassen können und erledigt wird, was dran ist.

Aber, na klar, kommt ein aber. Wenn sich alle darauf verlassen können, dass ich mich schon kümmere, hat das drei weitere Wirkungen:

Ich trage selbst dazu bei, dass die Unfähigen und Bequemen, sich darin einrichten, unfähig und bequem bleiben. Die macht ja schon, dann kann ich ja nach Hause gehen, später kommen, gar nicht kommen oder bloß quatschen. Ihr lernt nichts dazu und bleibt feist auf dem Arsch sitzen – schön lässig und auf Kosten meiner Kraft.

Ich renne und mache und tue, dass ich oft gar nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Zu oft halte ich so tapfer durch, dass ich gar nicht mehr darüber nachdenken kann, was von all dem Sinn macht, wie es vielleicht doch leichter ginge und was ich eigentlich wirklich will. Da ist keine Pause zum Nachdenken oder Fühlen – Pause ist nur zum Ausruhen, kurz anhalten, Wunden lecken und weiter.



Und – das ist vielleicht das schlimmste daran – ich finde eigentlich gar nicht statt. Ich repariere, sortiere und rette – da bleibt kein Platz für Schwäche, für weiche Momente, für Zärtlichkeit. Nicht nur, dass ich nicht um Hilfe bitten kann, wo keine Hilfe ist. Ich funktioniere vor allem so gut, dass niemand meine ganze Person sehen kann. Ich gebe nichts von mir preis – keine Zweifel, Gefühle, Albernheiten, fast nie die entspannte und zärtliche Person, die ich auch sein kann – niemals die, die am Meer sitzen kann und vor Glück und Staunen einfach nur atmet. Ich sage nie, was ich mir wünsche: Bitte hilf. Bitte warte kurz. Bitte sei da, wenn ich nachher Zeit habe. Tanz mit mir. Nimm mich in den Arm. Lass Dich in meinen Arm fallen.

Lass uns lachen, lieben, kämpfen – nicht nur kämpfen.

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Freitag, 25. Dezember 2015
Menschen am Fluss
Am Fluss genieße ich wie viele andere die wenigen Sonnenstrahlen. Hunde führen ihre Familien an der Leine, Jogger, Kinder, Pärchen, Entengeschnäbel, alle auf der Suche nach einem kleinen Stückchen blauen Himmels. Auf einer Brücke begegnen die Menschen sich und bekommen Tuchfühlung. Von der gegenüberliegenden Seite betreten drei junge Männer die Brücke. Ihnen ist langweilig und sie feixen. Zwei Jogger traben vorbei, werden von ihnen in ihren hautengen Latexhosen für Schwule gehalten und beschimpft. Im Vorbeilaufen zögert der eine von beiden kurz, dreht sich um und ist aber nicht willens, sich den Tag von einem testosteron-gesteuerten Brüllaffen versauen zu lassen. Derart in seinem Hass frustriert steigert der eine der drei Jungs sein Angebot und ruft lautstark „Allah Akbar“. Die Familie lässt sich davon ebenfalls nicht beeindrucken und findet ihren Hund viel zu putzig, um sich in irgendeine Phobie verwickeln zu lassen.
Ich bleibe auf der Brücke stehen, genieße den Ausblick auf den tosenden Fluss und frage mich ganz kurz, ob mich das Kleinstadt-Kampf-der-Kulturen-Idyll eher amüsiert oder ob ich mir doch Sorgen machen sollte. Aber der Fluss mit seinem Tosen und Brausen ist stärker. Wolken brausen vorbei. Die Luft ist frisch und schon ein klein wenig samtig. Da wuseln wir also alle ziemlich entspannt über diese Brücke am Fluss.
Einzig der Älteste der drei Jungs kann nirgendwo hin mit seinem Frust: er brüllt weiter „Allah Akbar“ und keinen interessiert es: weder die beiden mutmaßlich Schwulen, noch die Familie, die ihren Hund verhätschelt, noch mich als Frau allein hier draußen und die Enten schon gar nicht. Ich bin froh, dass ihm keiner verraten hat, dass er in diesem progressiv entspannten Umfeld mit „Heil Hitler“ erfolgreicher um Schläge gebettelt hätte. Wüsste er das, würde er vermutlich das rufen.

Das einzige, was mich wirklich traurig stimmt, ist, dass er seinem kleinen Bruder gerade ein richtig beschissenes Vorbild bietet. Er treibt den Lütten dank dessen Bewunderung für den Machobruder ein Stück näher in den Knast oder unter Polizeiknüppel. Dabei ist das Leben so schön, wenn jede/r die anderen einfach mal leben lässt, den Kopf hebt und so die Chance erhält, die fransige blaue Fläche zwischen Wolken zu entdecken. Die ist nämlich so herzerfrischend Blau – Allah, Baby-Jesus oder einfach dem Leben sei Dank.

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Freitag, 4. Dezember 2015
Junk Junky good bye
Da gab es mal diesen Journalisten, der 30 Tage nur Fastfood gegessen und im Film festgehalten hat, wie er nicht nur fetter sondern müder, depressiver und jeden Tag motivationsloser wurde. An den muss ich gerade denken: mitten in diesem Grau, wo jeder Tag weniger Licht enthält, der Winter nicht so richtig kommen mag und quasi alle Leute schlecht gelaunt, gestresst und überfordert zu sein scheinen.
Da ist es so voller Wonne, sich mit warmen Schleckereien mit ordentlich Vanillesoße, mit Pommes, Glühwein und Junk aufzufüllen - Hauptsache es geht schnell, ist sofort warm, süß oder fettig.
Im Moment ist das eine feine Sache: warmer Bauch, satt und angenehm schläfrig weit weg von Tristesse und Hektik. Mit jedem Tag wird die Schläfrigkeit jedoch größer und die Unlust, überhaupt noch was zu tun, noch stärker. Dazu kommen Bauchweh und körperliche wie emotionale Bewegungslosigkeit. Da brauche ich nicht mal die Blutwerte zu sehen: Aus Tristesse wird so noch mehr Tristesse, aus Langeweile Trägheit, aus Grau Dunkelgrau - was erstmal schnell, lecker, warm geholfen hat, wird so bald lahm, fade, flau.

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Sonntag, 8. November 2015
schlingernd bis zur Erkenntnis
Ich träume so auf dem Fahrrad vor mich hin, bin flott unterwegs, gute Musik im Ohr. Vor mir radelt jemand arg langsam, schlingert auch mal hin und her und es dauert ewig, ihn zu überholen. Ich bin genervt, fluche vor mich hin und bin froh, als ich endlich an dem vorbei bin. Während ich mich frage, ob der betrunken oder einfach zu blöd zum Fahren ist, passiert das Gleiche 100 Meter weiter schon wieder. Zum Glück hab ich mich schon genug aufgeregt. Also gucke ich diesmal hoch und nehme den Menschen auf dem Rad wahr. Endlich fällt der Groschen: der Mensch, der da radelt, lernt das Fahren offensichtlich gerade. Er ist einer der Flüchtlinge, die im Vorort eine sichere Unterkunft gefunden hat und sich nun freut wie bolle, mit dem Rad seine neue Stadt entdecken zu können.
Ich muss über mich selbst lachen: einfach mal hingucken und schon brauch ich mich gar nicht mehr aufregen. Dem nächsten Flüchtling, der mitsamt Fahrrad an mir vorbei schlingert, schaue ich gleich ins Gesicht. Er lächelt und ich lächele mit. Ich freue mich an seiner Freude über die neu gewonnene Freiheit. Und ich freu mich auch für mich selbst, weil ich in einer nervig startenden Alltagssituation wie so oft was fürs Leben gelernt hab: erst mal gucken und dann verstehen, was eigentlich Sache ist: Meine Stadt verändert sich durch neue Nachbarinnen und Nachbarn und das ist auch gut so.

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Samstag, 7. November 2015
Lichtscheue Gesellen
Schau an, schau an - die Sonne lässt sich heute mal blicken. Sofort atme ich durch, werde ein paar Zentimeter größer und produziere ein inneres Schnurren. Auf einmal ist alles wieder schön. Es macht gar nichts, dass die Stadt zu voll ist, dass vier verschiedene gleichzeitig spielende Straßenmusiker die Kakophonie aus Kindergebrüll, Hundegebell und schiebenden Menschen antreiben. Selbst dass schon Weihnachtshysterie ausgebrochen ist, macht gleich viel weniger aus, weil einfach mal die Sonne auf mein Fell scheint. Es ist so einfach: ein kleines bisschen Wärme in diesem seltsamen Land, in dem es im Grunde sieben volle Monate zu dunkel, zu kühl, zu feucht ist.
Und wo ich hier eh schon über das Wetter rede: was ist das denn da draußen?? November soll das sein? dunkel = passt. knöchelhohes Laub = check. irgendwie feucht = ja auch, aber nanu, ein bisschen feucht von oben, schon, aber wo ist der ganze Regen, der erste Hagel, der erste Schnee, die üblichen nassen Blätter, die einem sonst ins Gesicht klatschen? Nicht dass ich mich beklagen will, dass mir dieses Jahr trotz November mal kein Moos aus den Ohren wächst, aber das da? Ich transpiriere! Im Tshirt! Im November!

Ich komme mir vor, als wäre ich kurz vor Weihnachten auf die Südhalbkugel geraten: die Deko ist weihnachtlich, alle Leute sind längst in Weihnachtseinkaufshektikwahn verfallen, die Auslagen in den Geschäften sind vor lauter Menschen ohne Geschiebe nicht mehr zu erreichen und es ist ein Wunder, dass vor lauter Enge überhaupt noch Deko an den Wänden hängt. Aber diese Wärme? Ich trage den Schal, weil er kalendarisch dran ist und bereue es schon nach drei Schritten.
Was also tun: so lange Lebkuchen essen, bis ich wieder glaube, dass der Advent kommt? Oder doch besser in die Eisdiele einbrechen? Das wäre es: Rieseneis mit Sahne, Schirmchen und von mir aus eben auch mit Glitzergedöns.

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