Sonntag, 3. Mai 2020
Mit Drache hamstern (Gwen 15)
„Wir gehen einkaufen“, verkündete Drax. „Ach ja?“, wunderte sich Skye, die nicht zugeben wollte, dass sie mal wieder beim Lesen eingenickt war. Schläfrig schaute sie Drax in die vollwachen Augen, rappelte sich auf und holte Papier, um Drax Wünsche zu notieren. Es würde ja ohnehin keine Ruhe geben, und ein kleiner Ausflug wäre trotz allem ganz gut. „Also?“ „Ja, also“, diktierte Drax eifrig, „wir brauchen: Kekse, Schmirgelpapier, 2 Farben Holzlack, Lakritz und eine große Tube Creme“. „Creme?“, wunderte sich Skye. Drax nickte nur bestimmt und verlor kein weiteres Wort darüber. Skye seufzte. Das bedeutete, mindestens 3 Läden betreten zu müssen, immer mit Maske und Handschuhen zwischen all den verwirrten, gestressten Leuten. Die meisten gaben sich Mühe, mit der Pandemie irgendwie sinnvoll umzugehen. Leicht fiel das wohl niemandem und die 1% dummen Idioten, die es immer noch nicht verstanden hatten oder verstehen wollten, machten Stress für alle anderen, wenn sie sich eben doch durchdrängelten, keinen Abstand hielten und rummaulten, statt einfach mal rücksichtsvoll und freundlich zu sein.

Nun ja, so fuhren sie also zum Einkaufen. Skye vollführte das inzwischen schon eingeübte Ballett: Erst Helm und Handschuhe verstauen, dann Beutel in die Tasche und Brille auf die Nase. Dann die Maske mit möglichst wenig Anfassen ins Gesicht, woraufhin bei jedem Ausatmen die Brille beschlug. Dann erst die Handschuhe an und feststellen, dass der Einkaufswagenchip sich mit Handschuhen nicht vom Schlüssel lösen ließ. Da sie kein zweites Paar Handschuhe dabeihatte, piddelte Skye mehrere Minuten am Einkaufswagenchip herum, klemmte sich albern den Finger und hatte den Chip schließlich endlich vom Schlüssel ab und im Einkaufswagen drin. Erleichtert seufzte sie, woraufhin die Brille wieder komplett beschlug. Im vagen Nebel der beschlagenen Brille fand sie das Ende der Eingangsschlange zum Baumarkt, schob sich 1,5 Meter für 1,5 Meter voran und war nun endlich im Baumarkt, um flugs mal Farbe und Pflanzen für die nächsten heimischen Aktivitäten zu kaufen. Mit dieser Beute kehrte sie zum Motorrad und zu Drax zurück, das den Einkauf kritisch beäugte: „Noch mehr Pflanzen? Aha und wir streichen schon wieder bloß Schwarzweiß.“ „Wir vor allem“, dachte sich Skye missmutig. Dieses Einkaufen war so halb im Nebel zwischen lauter überforderten Menschen echt kein Spaß. Wenn sie grad mal die Brille frei hatte, schaute sie Menschen zu, die Berge an Toilettenpapier, Mehl und Bier in ihren Einkaufswagen herumstemmten. Schon verrückt, wie Menschen sich gegenseitig mit Angst ansteckten – nicht der Virus, sondern die Vorstellung, was schief gehen könnte, und die Ungewissheit, wann es wieder irgendwie normaler würde, bewirkte kurioses Verhalten, dem sich auch Skye nicht ganz entziehen konnte. Sie erwischte sich auch selbst dabei, wie sie von allem zwei statt nur ein Paket kaufte und viel mehr als sonst überlegte, was sie sonst noch alles dringend haben müsste.

Zweite Runde also, Süßigkeiten kaufen ging recht problemlos, aber dann stellte sich für Skye die nächste Herausforderung, wie sie sich mit 1,5 Meter Abstand in die Schlange der Apotheke anstellen sollte, wenn die nur 4 Meter breit war, schon 3 Leute drin waren, und vor der Apotheke eine Menge Leute ihren Weg Richtung Baumarkt suchten. Auch hier verursachten vor allem die 1% den Stress, die hektisch drauf losschoben, Leute sogar anrempelten und auf den Scheißstress schimpfen, von dem sie selbst am meisten auslösten. Skye versuchte ruhig zu atmen – schon damit sie durch die Brille trotz Maske überhaupt was sah. Als sie endlich dran war, erhielt sie ihre fünf Tuben Creme, obwohl dies vermutlich keine „haushaltsübliche“ Menge war. Nachdem sie bereits zweimal den Pin ihrer Geldkarte falsch eingegeben hatte, kapierte sie endlich, dass die Kombination aus beschlagener Brille und dem Plexiglas, das dem Verkäufer als Spuckschutz diente, eine optische Verzerrung bewirkte, so dass sie die falsche Zahlenreihe angetippt hatte. So versuchte sie gebückt unter dem Plexiglas durch zu schauen und schaffte es beim dritten Mal endlich, die Creme zu bezahlen.

Sie kehrte wieder zu Drax zurück und musste erneut verschärft überlegen: erst Ware einladen, dann war der Helm im Weg, half nix, musste auf dem Motorrad liegen bleiben, hoffentlich ohne runter zu fallen oder geklaut zu werden. Dann den Einkaufswagen wegbringen und versuchen, sich nicht über die Leute zu ärgern, die ihre verschwitzten Handschuhe auf den Boden schmissen. Es schien für einige Leute nicht verstehbar zu sein, dass es nicht darum ging, sich (nur) selber zu schützen, sondern keine Keime zu verbreiten, die aus der Pandemie eine Katastrophe mit überfüllten Krankenhäusern und unnötigen Toten machen würden. Skye seufzte und musste prompt mitten im Weg stehen bleiben, weil die Brille voll beschlug, wenn sie zu deutlich ausatmete. Sie holte den Einkaufswagenchip wieder raus, wusste nicht wohin damit, ließ ihn einfach in die Jackentasche plumpsen und fuhr fort: zum Mülleimer gehen, Handschuhe von den nassen Fingern runter und in den Eimer werfen, Handdesinfektion öffnen (wohin zwischenzeitlich mit dem Deckel?), Hände desinfizieren, vorsichtig die Maske vom Gesicht ziehen (wohin mit der?) und endlich zurück zum Motorrad. Der Helm war zum Glück noch da und Drax auch. „Wozu brauchst du eigentlich so viel Creme?“, fragte Skye erschöpft. „Es juuuckt soo“, jammerte Drax. Skye schaute genauer hin und entdeckte zum ersten Mal einen leichten Flaum auf Drax´ bis dahin glatten Hautschuppen. „Kriegst du jetzt auch eine Flokati-Ausstattung?“, kicherte Skye. „Floookatiii?!“, knurrte Drax und entblößte recht lange, spitze Zähne. Skye riss die Augen auf und wunderte sich, wann Drax´ Zähnchen derart beeindruckend geworden waren. Drax amüsierte sich sichtlich, fletschte die Zähne noch ein bisschen mehr, hielt den Kopf direkt vor Skyes Gesicht und stellte fest: „Du cremst mich zu Hause richtig lange ein, nicht wahr?!“. „Klaro“, beteuerte Skye und ergriff erleichtert die Flucht vor gestressten Leuten, versifften Handschuhen und den Wirrungen der Pandemie-Regeln. Nach dem heimischen Ritual aus Händewaschen, Auspacken und Desinfizieren setzte sie ihre frisch geputzte Brille auf, um genauer nachzuschauen, was sich bei Drax gerade alles veränderte.

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