Sonntag, 19. April 2020
Pandemie der Ungleichheit (Gwen 13)
„Es ist so ruhig“, nuschelte Drax, „und, weißt du, ich hab noch nie soo blauen Himmel gesehen.“ Drax und Skye lagen im Garten ausgestreckt, guckten den Rotkehlchen und Meisen zu und fanden ihr kleines Fleckchen Grün ganz paradiesisch. „Das liegt daran, dass fast keine Flugzeuge fliegen. Auch viele Fabriken sind zu und viele Leute müssen nicht zur Arbeit fahren, weil sie ihre Arbeit verloren haben oder zu Hause arbeiten können.“ „Ist eine Pandemie für Menschen so gefährlich?“ „Das weiß eben keiner so genau“, antwortete Skye, „Auf jeden Fall ist es noch ansteckender als die Grippe, die vorletzten Winter 20.000 Menschen allein in Deutschland getötet hat. Ein bisschen liegt die Aufregung wohl auch daran, dass es diesmal auch Europa getroffen hat. Europa hat die Ressourcen, sich gegen den Virus zu wehren. Die vielen Toten in Afrika oder Asien durch Ebola, Lassafieber, Cholera oder Malaria schaffen es hingegen gar nicht in den Medien.“ „Als würdet ihr denken, dass weiße Menschen oder Reiche wichtiger sind?“, grübelte Drax. Skye schnappte nach Luft und dachte, dass Europa zumindest weniger Interesse für Probleme aufbrachte, die außerhalb der eigenen Mauer auftraten. Tausenden von Menschen wurden im Mittelmeer dem Ertrinken überlassen oder in Staaten zurückgetrieben, wo sie Gewalt, Elend und Krankheit in überfüllten Lagern erwarteten. Es machte sie sehr nachdenklich, dass sie selbst ein so gutes Leben mit dem Drachen im Garten verbrachte. Ihr persönliches Problem bestand im Grunde daran, dass sie Angst vor den Folgekosten der Pandemiebekämpfung hatte und dass sie nicht ins Schwimmbad konnte. Sie war schon ganz steif und schlaflos durch die mangelnde Bewegung und die fehlende Leichtigkeit im Wasser. Geflüchtete hingeben hatten keinen Rückzugsort, kaum medizinische Versorgung und nicht mal Wasser zum Trinken. Skye beschloss, Ärzte ohne Grenzen das Geld zu geben, das sie ohne die Pandemie für Freizeitaktivitäten ausgegeben hätte, und ging auf einige der Distanzdemonstrationen, bei denen Menschen mit 2 Meter Abstand dazu aufriefen, auch Geflüchteten die Chance auf ein gutes Leben zu geben. „Menschenrechte gelten für alle“, skandierte Skye, während Drax über der Demo kreiste: „Leave no one behind!!“

„Die da in der den blauen Overalls sind aber viel zu nah dran“, flüsterte Drax. „Soll ich die mal wegpusten, die fassen den Mann am Boden ja sogar an. Das ist doch bei euch Menschen grad verboten, oder?“ Skye wisperte zurück: „Ja, das ist verboten. Und das sollten die nicht tun. Die gehören zum Staat und behaupten, die Demonstrierenden hätten die 2 Meter Abstand nicht eingehalten.“ „Aber das stimmt doch gar nicht. Ich seh das von hier oben ganz genau. Die einzigen, die zu nah dran sind, sind diese blauen Leute.“ Skye war wütend. Das hier war so unnötig. Alles war ruhig gewesen, während lange Transparente für Abstand gesorgt hatten und die Demonstrierenden Spruchbänder hochgehalten, Kreidebilder gemalt und Schuhe abgestellt hatten als Symbole für jene, die evakuiert werden müssten. Diese Inszenierung eines autoritären Staates war völlig überflüssig und sehr gefährlich, weil die Polizist*innen verschiedene Leute anfassten und das sorgfältig inszenierte Abstandsballet durcheinander brachten. Skye wünschte sich von Herzen, Drax würde da mal für Abstand sorgen. Dennoch sagt sie: „Neh, Drax, du darfst die nicht umpusten. Wenn du das machst, holen die noch mehr blaue Overalls und verhauen alle, die sie erwischen können.“ „Aber richtig ist das nicht“, maulte Drax und Skye konnte nur wütend nicken.

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