Samstag, 13. August 2016
Strategie der Spannung?
In den 1980er Jahren waren es in Deutschland, Italien und Spanien vor allem rechtsgerichtete Attentäter/innen, die versuchten durch Anschläge und Drohungen ein Klima aus Angst und Misstrauen zu erzeugen. Ihre sogenannte „Strategie der Spannung“ sollte dazu beitragen, die Menschen derartig zu verunsichern, dass sie nach einer starken Führung rufen, die diese Rechten und die mit ihnen verbündeten Kräfte im Staat dann bilden wollten. Trotz vieler Toter bei Anschlägen z.B. beim Oktoberfest in München und auf den Bahnhof von Bologna 1980, und einer massiven rechten Vernetzung bis hinein in den Staat ist es seinerzeit nicht gelungen, Furcht und Terror bis zum Umsturz zu treiben.

Heute erleben wir eine ganze Serie von ganz unterschiedlichen Anschlägen aus neo-faschistischen und pseudo-religiösen Richtungen. Bei einigen der Anschläge drängt sich der Eindruck auf, dass z.B. die Amokschützen von Würzburg, München und Ansbach religiöse oder rassistische Begründungen eher fadenscheinig nutzen, um ihrer eigenen frustrierten Wut, ihrem Hass und ihrer Selbsttötung einen erhöhten Sinn zu geben.
Umso erschreckender finde ich, dass heute die Verbreitung von Angst und Terror erfolgreich zu sein scheint. Ich hätte nie erwartet, dass ein libertäres Land wie Frankreich derartig schnell bereit ist, Freiheitsrechte aufzugeben und einen Ausnahmezustand zu dulden, der genau das einschränkt, gegen das sich der Terror richtet: freie Nutzung des öffentlichen Raums, Reisefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Opposition und Kunst. Die vielen Anschläge sind grauenhaft – der Terror siegt jedoch nicht durch den jeweiligen Anschlag, sondern durch das, was wir daraus machen: Reagieren wir mit Hass, Abschottung, autoritärem Polizeistaat und Krieg? Oder haben wir die Stärke, uns den eigenen Lebensentwurf und eine halbwegs offene, halbwegs demokratische Gesellschaft nicht nehmen zu lassen?

„Sündenböcke“ zu suchen ist immer einfacher – damit kann man Präsidentschaftskandidat werden. Leider färbt diese rassistische Trennung von Menschen auf die gesamte Gesellschaft ab: wenn ein Mensch mit migrantischem Hintergrund durchdreht, kommen sofort das Einsatzkommando und Heerscharen von Medien. Macht ein Deutscher genau das gleiche, wird dies auf psychische Probleme und den Alkohol geschoben. Ich stand jedenfalls letztes Wochenende einem erkennbar deutschen Mann gegenüber, der vollkommen besoffen und mit von Drogen zerfressendem Gehirn eine Menschengruppe mit einer abgebrochenen Bierflasche angriff und uns anbrüllte, dass er uns alle umbringen werde. Alle haben schockiert, aber besonnen reagiert. Niemand hat durch (rassistische) Beschimpfungen eskaliert, sondern alle haben Abstand gehalten, aufeinander aufgepasst und den Täter so lange in Schach gehalten, bis er sich einigermaßen beruhigt hatte – wäre er „Migrant“ gewesen, wäre nur deshalb die ganze Geschichte wohl blutig ausgegangen. Der Angriff hätte als erneute Bestätigung der Angst gegolten, es seien vor allem „Migrant/innen“, die solche Angriffe starten. Dabei sind und waren auch früher schon solche Szenen leider Alltag – es sind nicht „die Migrant/innen“ – sondern Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen, die andere Menschen aus Frust, Hass und Machtwünschen angreifen.

Echte Lösungen zu suchen ist langwieriger als das rassistische Klischee der Angst vor dem „schwarzen Mann“ zu schüren. Zusammenleben verlangt viel Mut und Durchhaltevermögen. Können wir also etwas dagegen tun, dass so viele Menschen so explosiv dünnhäutig sind und von Angst oder Hass getrieben andere verletzten oder töten wollen? Können wir echte Chancengleichheit erreichen und so den Demagogen ihre Basis entziehen? Über den Punkt, wo es noch einfache Heilmittel gäbe, sind wir sicherlich längst hinweg. Aber es lohnt sich: einen Polizeistaat und Medien, die zu oft nur Klischees und sensationslüsterne Angst verbreiten, wünsche ich mir jedenfalls nicht.

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