Montag, 11. Juli 2016
Alter I: Außen und Innen
Spielt Alter eine Rolle? Irgendwie nicht, weil an dem Spruch, man ist so alt (oder jung) wie man sich fühlt, etwas dran ist. Meistens fühle ich mich wie Ende 20, also wie eine Person, die bei weitem noch nicht erwachsen ist, aber schon einiges im Leben gesehen hat und auf eigenen Füßen steht. An manchen Tagen fühle ich mittelalt, also wie eine von denen, mit denen ich mit 16 auf gar keinen Fall etwas zu tun haben wollte: so müde, voller Resignation, eingerostet, lahm und uncool. Es gibt Tage, an denen fühle ich mich steinalt: mit müden Augen, leerem Hirn und argem Rücken über die Straße wankend auf der Suche nach einem Sitz und einem Tässchen Kaffee. Unrecht und Ohnmacht jedoch machen mich heute noch genauso wütend wie mit 15. Frisch verliebt hingegen bin ich gleichzeitig eine pubertäre Dramaqueen und ein uralter Bedenkenträger – bei den Diskussionen zwischen der Schmetterlingspanik in meinem Bauch und dem weise-mahnenden Aber in meinem Kopf reden in mir die Generationen penetrant aneinander vorbei.

Was bedeutet es dann also, in einem bestimmten Alter zu sein?

Die Lebensumstände und Lebensphasen ändern sich: als Schülerin, als Sommerjobberin, als Angestellte, als Mutter, als Single, als Rentnerin habe ich jeweils unterschiedliche Fragen, wie ich mein Leben gerade bewältige und weiterhin gestalten will. Vor allem die Zeitbudgets ändern sich: Als Studentin musste ich nach einer durchzechten Nacht irgendwie die Augen aufhalten – als Vollzeit-Angestellte ist an so etwas während der Woche gar nicht mehr zu denken. Auf einmal fühlt es sich „spät“ an, um 23 Uhr ins Bett zu gehen – nicht weil ich doppelt so alt bin wie früher, sondern weil ich jeden Werktag um 7 Uhr aufstehe und es nicht reicht, bloß intelligent zu gucken.

Dennoch hängt das Empfinden meines Alters nicht nur von äußeren Umständen ab:
Mein Körper verändert sich durch Lebensumstände (ich sage nur: Bürositzen, Junk Food und Coach Potato im Gegensatz zu einem Sommer am Meer oder Kampfsporterfolgen). Hinzu kommen die inneren Einflüsse: zu Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt hoffen (oder fürchten) wir in der Pubertät alle, mal in ruhigere Gewässer zu kommen, wo der Körper sich nicht mehr jeden Tag und die Laune nicht mehr jede Minute ändert. Auch nach der Adoleszenz gibt es so etwas wie Entwicklungsphasen: Bei vielen nimmt die Regenerationsfähigkeit ab Ende 20 ab. Wir bekommen ab 40 oder 50 die Rechnung für das, was wir als Teenager oder in den 20gern mit dem eigenen Körper angestellt haben. Mit 40 Plus dauert es merklich länger, sich von Anstrengungen, Verletzungen und Rauschzuständen zu erholen. Die Sicht auf die Welt, z.B. das Bedürfnis nach einem gewissen Maß an Sicherheit, verändert sich auch nicht nur durch die Erfahrungen, die wir machen, sondern durch innere Veränderungen von Hormonen, Knochen und Gesundheit. Das ist jedoch für jede und jeden sehr unterschiedlich – je nachdem was unsere Zellen und die Welt bereithalten.

Großen Einfluss hat offensichtlich auch die Einstellung – wenn ich auf jedes Wehwehchen mit Angst reagiere, werden die schneller mein Leben beherrschen als wenn ich mich auf meine Stärken konzentriere. Ignoriere ich die Warnsignale hingegen ganz, werde ich vermutlich auf Dauer und stärker krank. Ein Mensch, der den eigenen Wandel als Abenteuer versteht, wird die Wechseljahre ganz anders erleben als jemand, der vor allem seinem 17jährigen Ich hinterher trauert und alles seitdem als Abstieg erlebt.

Teil II folgt

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