Freitag, 25. Dezember 2015
Menschen am Fluss
Am Fluss genieße ich wie viele andere die wenigen Sonnenstrahlen. Hunde führen ihre Familien an der Leine, Jogger, Kinder, Pärchen, Entengeschnäbel, alle auf der Suche nach einem kleinen Stückchen blauen Himmels. Auf einer Brücke begegnen die Menschen sich und bekommen Tuchfühlung. Von der gegenüberliegenden Seite betreten drei junge Männer die Brücke. Ihnen ist langweilig und sie feixen. Zwei Jogger traben vorbei, werden von ihnen in ihren hautengen Latexhosen für Schwule gehalten und beschimpft. Im Vorbeilaufen zögert der eine von beiden kurz, dreht sich um und ist aber nicht willens, sich den Tag von einem testosteron-gesteuerten Brüllaffen versauen zu lassen. Derart in seinem Hass frustriert steigert der eine der drei Jungs sein Angebot und ruft lautstark „Allah Akbar“. Die Familie lässt sich davon ebenfalls nicht beeindrucken und findet ihren Hund viel zu putzig, um sich in irgendeine Phobie verwickeln zu lassen.
Ich bleibe auf der Brücke stehen, genieße den Ausblick auf den tosenden Fluss und frage mich ganz kurz, ob mich das Kleinstadt-Kampf-der-Kulturen-Idyll eher amüsiert oder ob ich mir doch Sorgen machen sollte. Aber der Fluss mit seinem Tosen und Brausen ist stärker. Wolken brausen vorbei. Die Luft ist frisch und schon ein klein wenig samtig. Da wuseln wir also alle ziemlich entspannt über diese Brücke am Fluss.
Einzig der Älteste der drei Jungs kann nirgendwo hin mit seinem Frust: er brüllt weiter „Allah Akbar“ und keinen interessiert es: weder die beiden mutmaßlich Schwulen, noch die Familie, die ihren Hund verhätschelt, noch mich als Frau allein hier draußen und die Enten schon gar nicht. Ich bin froh, dass ihm keiner verraten hat, dass er in diesem progressiv entspannten Umfeld mit „Heil Hitler“ erfolgreicher um Schläge gebettelt hätte. Wüsste er das, würde er vermutlich das rufen.

Das einzige, was mich wirklich traurig stimmt, ist, dass er seinem kleinen Bruder gerade ein richtig beschissenes Vorbild bietet. Er treibt den Lütten dank dessen Bewunderung für den Machobruder ein Stück näher in den Knast oder unter Polizeiknüppel. Dabei ist das Leben so schön, wenn jede/r die anderen einfach mal leben lässt, den Kopf hebt und so die Chance erhält, die fransige blaue Fläche zwischen Wolken zu entdecken. Die ist nämlich so herzerfrischend Blau – Allah, Baby-Jesus oder einfach dem Leben sei Dank.

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